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Nicht bestanden!

Ich hatte von der Not eines jungen Syrers mitbekommen. Er mühte sich sehr, in einem Sprachkurs für Fortgeschrittene weiter zu kommen. Nun hatte er die Abschlussprüfung knapp verfehlt. Er war todtraurig, rückte doch sein Ziel, bald möglichst sein Pharmazie-Studium an einer deutschen Uni wieder aufnehmen zu können, in weite Ferne. Seine Eltern und Geschwister waren in die Türkei geflohen. Er hatte sie schon 20 Monate nicht mehr gesehen und auch in Zukunft blieb es aufgrund der politischen Situation schwierig, zueinander zu kommen. Niemand war da, der sein Leid mit ihm teilte. Ich blieb lange bei ihm. Wir fanden einen neuen Weg für einen anderen Sprachkurs. Ich sah, wie eine große Last von ihm abfiel und wie sich für ihn die Zukunft neu öffnete. Er führte mich in sein kleines spärlich eingerichtetes Zimmer. Zwei kleine Passfotos hingen an der Wand. Ja, das seien seine Eltern, sagte er auf meine Nachfrage hin. Dann nahm er liebevoll ein beidseitig beschriebenes Blatt, das hinter den beiden Fotos klemmte in die Hand. “Das ist ein Brief, den ich vor drei Wochen von meinen Eltern bekommen habe. Ich lese ihn jeden Tag - immer und immer wieder!” Seine Augen füllten sich mit Tränen. Im Meer der Einsamkeit durfte ich einem Menschen Bruder sein.