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Steh auf!

Mädchen, ich sage dir: „Steh auf!“
Mk 5,41

Monatsimpuls - 11/2024

Liebe Freunde von go4peace,

es gibt Augenblicke, da scheint es einfach zu viel zu sein, was das Leben uns aufgegeben hat. Wir blicken nicht mehr durch. Das Vertrauen in unsere eigenen Kräfte ist verschwunden. Wir ziehen uns zurück und wollen nicht mehr. – Wie gut tut es dann, wenn jemand kommt, der uns anspricht und Mut macht zum nächsten Schritt.

Der Tochter eines Synagogenvorstehers namens Jairus war es so ergangen. Sie war 12 Jahre alt und stand am Beginn ihres eigenen Weges. Das erlebte sie als echte Überforderung. Ihr Vater ging zu Jesus und bat ihn um Hilfe. Jesus kam und ging mit wenigen Freunden und den Eltern zu dem Mädchen. Behutsam nahm er den Teenager an der Hand und sagte ihr voller Vertrauen das ermutigende Wort: „Mädchen, ich sage dir: Steh auf!“ (Mk 5,41) Sofort stand sie auf und ging umher.

Wie gut tut es, wenn jemand in aussichtslosen Situationen da ist, der an uns glaubt. Oft reicht ein Wort und wir finden den Mut zum nächsten Schritt. Ist dir jemand eingefallen, dem du in diesen Tagen sagen könntest: „Steh auf!“?

Vor Jahren hatte sich eine junge Frau bei einem Betriebs-Unfall schwer am Knie verletzt. Alle Operationen hatten ihr nur wenig geholfen. Sie war mittlerweile auf Gehhilfen angewiesen. Nun stand die Frage im Raum, ob sie nochmals eine Operation wagen sollte, deren Ausgang ungewiss war. Sie entschied sich für eine weitere OP. Ich schickte ihr unseren monatlichen YouTube Short mit dem Impuls „Wag den Schritt!“ Abends las ich in einer WhatsApp: „Ich hab mich mit meiner Entscheidung sehr schwer getan und immer wieder kam die Frage, ob es richtig ist, wie ich entschieden habe und dann kam dein Video. „Wag den Schritt!“ Es hat mir sehr viel bedeutet und mir sehr viel Mut und Hoffnung gegeben! – „Steh auf!“

für das go4peaceTeam                                   Meinolf Wacker

Erfahrungen des Monats

Seit vielen Jahren sende ich jeden Morgen einen kleinen einprägsamen Impuls zum Tagesevangelium. Er begleitet viele Menschen. Ein Briefgruß erreicht mich einer älteren Frau, die über das Tagesmotto mit mir verbunden lebt. In ihren Zeilen lese ich: „Als ich heute Morgen recht früh aufwachte, wurde ich von einer heftigen Welle von Angst, Ohnmacht  und Hilflosigkeit überrollt. Es ist November, da kenne ich solche Phasen. Meinem Kopf war schnell klar, keine Angst haben zu müssen, aber mein Herz empfand anders. Dann las ich deinen Impuls: ‚Dunkelheit ist Ort der Geburt.‘ Das war eine persönliche Antwort. Da konnte ich annehmen. Mir kam die Liedzeile: ‚Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht …‘

Eine ältere Frau hatte vor einigen Jahren schweren Herzens unsere Gemeinde verlassen und war altersbedingt zu ihrer Tochter gezogen. Ob sie wohl noch lebt, fragte ich mich immer wieder. All diejenigen, die ich ebenfalls danach fragte, hatten auch keine weiteren Informationen. Am heutigen Sonntag, an dem es im Tagesevangelium um die Gottes- und Nächstenliebe ging, war ich einem Impuls gefolgt und hatte in einige WhatsApp-Gruppen ein vor einigen Monaten gefertigtes Video „Es gibt nur EINE Liebe!“ gestellt. Als ich eben auf mein Handi schaute, durfte ich von eben dieser alten Dame lesen: „Ich versuche dieser EINEN Liebe zu folgen und sie zu leben und fühle mich dadurch gestärkt. Versucht es auch! Es macht stark!“

„Seit meiner Kindheit habe ich nur im Krieg gelebt!“ erzählte ein Mann mittleren Alters aus Syrien. Er war gekommen, um uns an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Wir erlebten tiefe gemeinsame Augenblicke. Kurz nach dem Abschied schrieb er: „Ich hab mich bei euch richtig zu Hause gefühlt. Danke!“ – Eine Voicemail erreicht mich aus Kyiv. Eine junge Ukrainerin, die kurz zuvor einige Tage bei uns zu Gast gewesen war, schrieb, wie schwer es ist, unter den dauernden nächtlichen Drohnenangriffen im inneren Frieden zu bleiben. Sie wirkte sehr müde. „Ich spüre, wie sehr meine Seele immer wieder solche Aus-Zeiten, wie ich sie bei euch haben konnte, brauche. Darin finde ich Frieden und Orientierung für mein Leben.“ In einer kurzen WhatsApp-Nachricht lasse ich sie wissen, dass ich ihr nahe bin. – Eine Schwester vertraut mir eine schwierige Situation in ihrer Gemeinschaft an. Ich spüre ihre Verletzungen und ihre Sehnsucht nach Klärung und Frieden. Auch ihr Leiden nehme ich tief in mein Herz und teile es mit ihr. – Ich spüre eine Verbundenheit rund um die Welt, geboren aus gemeinsam geteilten Augenblicken, in denen die Herzen gebrannt haben.

Allerheiligen. Ich verbrachte den Tag mit meiner fast 90jährigen Mutter. Mir kam als Impuls, nachmittags mit ihr eine alte romanische Kirche im Sauerland zu besuchen. Ihr Kräftehaushalt ließ es zu.  Gern willigte sie ein. Nach gut einer Stunde Fahrt betraten wir die Kirche –schweigend, die Atmosphäre dieses alten Kirchenbaus nahm uns in Bann. Langsam gingen wir nach vorn und setzen uns in eine der Bänke. Wir betrachteten die über 1200 Jahre alte Fresken. Christus in der Mandorla mit den 4 Symbolen für die Evangelisten in der Kuppel. Unterhalb der Mandorla war eine Darstellung Mose beim brennenden Dornbusch zu sehen. Der „Ich bin da!“ hatte Mose zu den Israeliten geschickt. Diese Darstellung wirkte in unsere Seelen. Wir begannen von unseren eigenen Gottesbildern zu erzählen. Heilige Augenblicke. Auf einmal hatten wir den Eindruck: ER ist da!

Mich hatte der Besuch eines Bruders aus Syrien sehr bewegt. Sein Leben war sprechendes Zeugnis. Er gab es für Seine Leute in Aleppo. Von diesem Lebenszeugnis hatte ich in der sonntäglichen Predigt erzählt. Dann hatte ich die Brücke zu der armen Witwe im Evangelium geschlagen, die im Tempel 2 kleine Münzen in den Opferkasten geworfen hatte. Damit hatte sie – voller Vertrauen - alles gegeben. Dieser Gestus hatte das Herz Jesu tief berührt. - Es ist die Echtheit und Intensität unseres Lebens, die das Herz Jesu auch heute berührt und in Bewegung bringt. Dann hatte ich erzählt, wie mir das Projekt „Little dreams“ in Syrien, in dem 100 Flüchtlingskindern geholfen wird, für die Schule stark zu werden, sehr ins Herz gefallen war und wie ich gespürt hatte, dass Jesus erneut mit diesem Projekt bei mir anklopfte. Vertrauensvoll hatte ich auch da wieder ja gesagt, für die benötigte Summe einzustehen. Ich spürte, wie bewegt viele Gottesdienstbesucher zuhörten. Nach der Messe las ich ein einer WhatsApp: „Ihr Leben sprach heute wieder aus dem Bibeltext, aus den Gebeten und aus der Predigt! Bin tief berührt. Danke! Und dann kam eine ältere Frau, die nicht viel Geld hat und drückte mir einen  Umschlag in die Hand. Ich öffnete ihn und fand 500 €. „Little dreams!“ Meine Augen füllten sich mit Tränen der Dankbarkeit.

Es hatten sich nur 4 Personen zu einer Fortbildung, die ich angeboten hatte, angemeldet. Und dann sprang wenige Tage vorher noch jemand ab. So blieben wir ein kleines Team. Sollte ich absagen? Ging mir durchs Herz, hatte ich doch viel Vorbereitungszeit investiert. „Wo zwei oder drei …“ kam mir in den Sinn. Nein, ich wollte diesen Tag mit besonderer Aufmerksamkeit und Liebe vorbereiten und durchführen. Der gemeinsame Tag begann. Ich versuchte zu jedem einen lebendige Beziehung aufzubauen. Ich spürte, wie sich jeder Teilnehmende willkommen und angeschaut fühlte. Wir kamen in einen lebendigen Austausch über unsere Wege mit jungen Leuten. Bei der Auswertung am Ende traute ich meinen Augen nicht. Besser hätte es nicht laufen können. Ein Teilnehmender hatte noch geschrieben: „Auch andere Erfahrungen hatten Platz und wurden wertschätzend angeschaut. Danke!“ Auf dem Weg nach Hause spürte ich eine große Freude im Herzen.

Eine Bewohnerin des Altenzentrums, in dem ich arbeite, ist fast 80 Jahre alt. Ihre Mutter, die schon fast 100 Jahre alt ist, lebt in einem anderen Altenheim. In Gesprächen zwischen der Tochter und mir kam immer wieder zur Sprache, dass sie ein Leben lang unter der (scheinbaren) Gefühlskälte ihrer Mutter gelitten hatte. Trotzdem besuchte sie ihre Mutter immer wieder, wozu ich sie sehr ermutigte, auch wenn das aufgrund ihres Alters sehr anstrengend geworden war. Vor kurzem ist ihre Mutter verstorben. Als die Bewohnerin von der Beisetzung ihrer Mutter zurück kam, schaute ich noch auf einen kurzen Besuch bei ihr vorbei. Die Frau erzählte mir von der Beisetzung, dem Leben ihrer Mutter und von den letzten Gesprächen, in denen vieles zur Sprache gekommen war, was beiden auf dem Herzen gelegen hatte. Mit Tränen in den Augen sagte sie: "Meine Mutter hat mir zum ersten Mal in meinem Leben gesagt, dass sie mich lieb hat!" Auch mir kamen Tränen.

Über 50 junge Leute, die sich in einer Diaspora-Pfarrei auf den Empfang der Firmung vorbereiteten, waren gekommen. Zu zweit stellten wir ihnen das Logbuch „Mein Leben – windschief und glänzend“ als eine Hilfe zum Leben vor. Mit großer Aufmerksamkeit hörten sie zu. Bei zwei Mädchen hatte ich den Eindruck, sie saugen jedes Wort, das sie hören, wie ein trockener Schwamm auf. Ihre Haltung der Offenheit brachte ein Klima hervor, in dem wir auch sehr persönliche Dinge erzählen konnten, was uns geholfen hatte ins Leben zu finden. Als sie am Ende der Veranstaltung das Logbuch in Händen hielten, sah ich die Freude in ihren Augen. Ausgerechnet diese beiden kamen noch kurz: „Wir wollten nur Tschüss sagen!“ Ich sah, wie die Botschaft des Tages ihre Herzen tief erreicht hatte.

Während eines Bastelnachmittages im Altenzentrum wurde ich von einer Pflegekraft zu einer Bewohnerin gerufen, die unerwartet verstorben war. Mit einem Pfleger, der aus Afghanistan stammt, ging ich in das  Zimmer der Verstorbenen. Wir standen in Stille an ihrem Bett. Ich hatte den Eindruck einer leichten Unsicherheit bei meinem Kollegen. Um ihm diese zu nehmen, fragte ich ihn nach den muslimischen Ritualen im Angesicht des Todes. Wir tauschten uns darüber aus, wie wir als Muslime und Christen in der Situation des Sterbens und des Todes denken und handeln.  Es entstand ein schönes  Gespräch über unsere Religionen, unseren Glauben und über alles, was uns verbindet.  Es herrschte eine dichte, friedliche und warmherzige Atmosphäre im Raum. Am Ende sprach ich ein kurzes Gebet. Darin ließ ich anklingen, dass wir beide an die Barmherzigkeit Gottes glauben und so ich vertraute die verstorbene Bewohnerin Gottes barmherziger Liebe an. Ich hörte den jungen Afghanen leise "Inshallah" (So Gott will!) sagen. Es hat mich tief berührt, religionsverbindend, gemeinsam am Bett der Verstorbenen zu beten.

Direkt nach Kriegsbeginn hatte sie die Ukraine mit ihren Kindern verlassen und in Deutschland Schutz gesucht. Ich kannte sie seit dieser Zeit. Sie hatte schwere Zeiten hinter sich, denn ihr Mann hatte sich - fern von ihr - von ihr getrennt. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Deutschland war sie während der Sommerferien für kurze Zeit in ihrer Heimat gewesen. Nun trafen wir uns eher beiläufig in der Stadt. Ich fragte, wie es gehe? Sie begann zu erzählen. Von der Schule der Kinder, von ihrer Arbeit, von einem Krankenhausaufenthalt ihres Sohnes und dann schaute sie mich lange an und sagte: „Weißt du, am schwersten war’s für mich in meiner Heimat. Ich hatte mich gefreut, mit den Kindern dort zu sein. Aber als die Kleinen nachts immer die Drohnen hören mussten und all die Zerstörungen sahen, sagten sie: ‚Mama, wir wollen wieder nach Hause!‘‘ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie war zu Hause und für ihre Kinder, für die sie alles gegeben hatte, war es kein Zuhause mehr. Wie oft mochte sie darüber schon nachts verborgene Tränen vergossen haben?! „Danke, dass ich dir das alles erzählen darf. Das tut so gut!“

„Wir möchten dir gern ein paar Fragen zu deinem Glauben stellen. Geht das?“ lese ich in der WhatsApp einer Jugendlichen, die sich vor einem Jahr hatte firmen lasen. „Na klar!“ schrieb ich zurück. Wenige Tage später trafen wir uns zu dritt, ein Jugendlicher, die Anfragende und ich. „Was hast du für eine Vorstellung von Gott, ist sie eher anthropomorph oder anders?“ war eine Fragen. „Ne, so einen alten Mann im Himmel zu haben, dessen Bart nie länger wird und der immer gleich aussieht, das geht für mich nicht!“ ließ ich die beiden wissen. „Mir hilft vielmehr die Frage des Mose: ‚Was soll ich den Israeliten antworten, wenn sie mich fragen, wer mich geschickt hat? Und dann hört er die Antwort, der Ich-bin-da hat dich gesandt. - Wenn ich oft in Stille einfach ganz da zu sein versuche, dann überkommt mich eine tiefe Ahnung, dass ich da nicht allein bin. Ich spüre die Gegenwart dessen, der mich geschaffen hat und unendlich liebt. Und dieser Gott ist genauso da, wenn wir in seinem Namen, der ja Liebe ist, versammelt sind. Ich hab den Eindruck, wir machen jetzt gerade diese Erfahrung!“ Gebannt hören die beiden zu. „Boh, das hat uns noch nie jemand so gesagt. Wir haben jetzt ganz viel Stoff für unsere Präsentation. Ja, Gott ist nicht nur ein Wort, sondern er ist – wie du gesagt hast – eine Wirklichkeit. Ich spüre jetzt wie er wirkt!“ sagte die junge Frau. Dann verabschieden wir uns.

Auf einer Straße, die ich überquere, liegt viel herbstliches Laub. Mitten drin liegt eine unbedacht weggeworfene Trinkflasche. Ich denke darüber nach, wie mich die Dinge um mich herum ansprechen. Wirklichkeit spricht! Daraufhin kommt mir auf einmal die Frage ins Herz: „Und hast du dich persönlich ansprechen lassen?“ Denn die stille Botschaft der weggeworfenen Flasche war ja: Heb mich auf und wirf mich in den nächsten Mülleimer! – Während ich darüber nachdenke, „wartet“ schon die nächste Flasche auf mich. Dieses Mal hebe ich sie auf und werfe sie schmunzelnd in den nächsten Mülleimer.

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