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Ich bin glücklich!

“Hast Du noch einen Augenblick Zeit?” - fragte er mich. Auf dem Schulgelände war es chaotisch laut - einer der letzten Schultage vor den Ferien. Ich ging in sein Zimmer. Er schloß die Tür. “Gestern”, begann er sofort zu erzählen, “war ich auf dem Heimweg von einer Konferenz. Es war schon spät, 20.45 Uhr. Ich war mit dem Motorrad unterwegs. Ich spürte unter meinem Overall mein Handi vibrieren. Sofort fragte ich mich: ‘Wer meldet sich denn um diese Zeit noch?’ Es hörte nicht auf zu vibrieren. Ich entschied, zu stoppen und nachzuschauen. Ich fuhr an den Rand. Auf dem Display sah ich die Nummer einer Vorgesetzten. Ich rief zurück. Ihre Mail-Box sprang an. Vermutlich war der Anruf ein Versehen. Ich fuhr weiter. 3 Minuten später war vor mir die Straße gesperrt. Auf der Straße lag ein Motorrad. Es war eine Maschine, die mich wenige Minuten vorher überholt hatte. Ein Auto hatte die Vorfahrt missachtet. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, dass der Motorradfahrer schwer - aber nicht lebensgefährlich verletzt war.” Mein Gegenüber schaute mich an. Nach einem Augenblick des Schweigens sagte er: “Da war jemand, der noch nicht wollte, dass mein Leben zu Ende geht! All die kleinen Fakten sind einfach nicht erklärbar. Wäre ich nicht ans Telefon gegangen, ich hätte genau zum Zeitpunkt des Unfalls die Stelle passiert.”

Seit Tagen habe ich darüber nachgedacht, was ich in der Fastenzeit bei mir - durch die Augen Gottes geschaut -  ändern kann. Verzicht auf irgendwelche Nahrungsmittel fällt mir nicht schwer und hat deshalb keine große Bedeutung für mich. Dann hab ich über meine Beziehungen zu Gott, zu mir, zu den Mitmenschen und zur Natur nachgedacht. Einige meiner menschlichen Beziehungen sind zerbrochen, andere “verzerrt”. So habe ich mich entschieden, neu auf eine Freundin, die mich sehr enttäuscht und verletzt hat, zuzugehen. Ich hab sie seit Ewigkeiten zum ersten Mal wieder angesprochen, sie mit den liebenden Augen Gottes angeschaut. Ich kann die Vergangenheit und die Verletzungen nicht ändern! Aber ich kann und will verzeihen!

Ich hatte von der Not eines jungen Syrers mitbekommen. Er mühte sich sehr, in einem Sprachkurs für Fortgeschrittene weiter zu kommen. Nun hatte er die Abschlussprüfung knapp verfehlt. Er war todtraurig, rückte doch sein Ziel, bald möglichst sein Pharmazie-Studium an einer deutschen Uni wieder aufnehmen zu können, in weite Ferne. Seine Eltern und Geschwister waren in die Türkei geflohen. Er hatte sie schon 20 Monate nicht mehr gesehen und auch in Zukunft blieb es aufgrund der politischen Situation schwierig, zueinander zu kommen. Niemand war da, der sein Leid mit ihm teilte. Ich blieb lange bei ihm. Wir fanden einen neuen Weg für einen anderen Sprachkurs. Ich sah, wie eine große Last von ihm abfiel und wie sich für ihn die Zukunft neu öffnete. Er führte mich in sein kleines spärlich eingerichtetes Zimmer. Zwei kleine Passfotos hingen an der Wand. Ja, das seien seine Eltern, sagte er auf meine Nachfrage hin. Dann nahm er liebevoll ein beidseitig beschriebenes Blatt, das hinter den beiden Fotos klemmte in die Hand. “Das ist ein Brief, den ich vor drei Wochen von meinen Eltern bekommen habe. Ich lese ihn jeden Tag - immer und immer wieder!” Seine Augen füllten sich mit Tränen. Im Meer der Einsamkeit durfte ich einem Menschen Bruder sein.

Von weitem sah ich ihn, einen jungen Afrikaner, dem ich seit langem nicht begegnet war. “Du siehst mich!” - unser Monatsmotto schoss mir in den Kopf. Der junge Mann kam telefonierend auf mich zu. Ich blieb - einem inneren Impuls folgend - bei ihm stehen. Er lachte mir zu. Bei seinem Telefongespräch ging es um eine Wohnung, die er von einer Wohnungsbaugesellschaft erbat. Auf einmal drückte er mir das Telefon in die Hand, weil er nicht weiter kam. Ein wenig verdutzt stellte ich mich am Telefon meinem Gegenüber, einem Mitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft, vor und schilderte die Situation. Wir kamen ins Gespräch. Ich konnte alle Fragen im Bezug auf den jungen Afrikaner klären und konnte all die Bedingungen, die für ihn zu erfüllen waren, mit ihm besprechen. Am Ende war klar: Er würde die Wohnung bekommen, wenn er nach einem Besichtigungstermin zustimmen würde. Dann beendeten wir das Gespräch. Überglücklich umarmte mich der junge Mann. “Das wollte Gott, dass Du mir heute gerade hier begegnet bist!”