Ich bin glücklich!
Am frühen Nachmittag kehrte ich vom Treffen mit einer koptisch-orthodoxen Gemeinde in unserer Stadt zurück, die ich besucht hatte. Sie sind seit etwa drei Jahren in unserer Gemeinde alle vierzehn Tage zu Gast. In den letzten Wochen ist die Gemeinde durch die Flucht aus Ägypten mehr als doppelt so groß geworden, aber die Gemeinde nimmt diese Herausforderung an und bietet für die Neuankömmlinge, die zum Teil noch in den Übergangsheimen wohnen, ein klein wenig Heimat: der gewohnte koptisch-orthodoxe Gottesdienst, der sonntags etwa drei Stunden dauert, und anschließend das Treffen der Gemeinde, bei dem die Gemeinde auch gerade für die Armen unter ihnen ein einfaches Mittagessen ausrichtet. Die Atmosphäre ist sehr herzlich, und die schweren Herzens aus ihrer ägyptischen (und auch syrischen, eriträischen und sudanesischen) Heimat Geflohenen finden hier einen Ort des Friedens, der Liebe und der Gemeinschaft, wo sie „im Glauben und in der Liebe bleiben“ können. Nach dem Mittagessen gibt es einen Deutschkurs, der jetzt hoffnungslos überfüllt ist, und einen Bibelunterricht, den der koptische Priester abhält. - Am heutigen Sonntag der Weltmission in der katholischen Kirche auf der ganzen Welt habe ich der Gemeinde mitgeteilt, dass wir an sie gedacht haben, und uns freuen, dass sie da sind. Alle freuten sich und brachten dies durch einen Applaus zum Ausdruck...
In den Sommerferien hatte ich drei Wochen Urlaub und eine Kollegin hatte einen Patienten von mir übernommen. Er ist sehr verwahrlost. Als ich das erste Mal da war, war schon vor lauter Katzenhaaren die ursprüngliche Teppichfarbe nicht mehr zu erkennen. Es hatte mich damals viel Schweiß und Überwindung gekostet, dort zu arbeiten. In meiner Abwesenheit hatte sich meine Vertretung nicht um die Sauberkeit der Wohnung gekümmert. Ich war sehr verärgert, konnte ich doch wieder von vorne anfangen. Ich hab versucht, mit aller Entschiedenheit aus all dem einen echten Akt der Liebe zu machen und nicht zu urteilen. - Kurze Zeit später ging meine Kollegin in Urlaub und es fand sich niemand, der einen von ihren schwer zu nehmenden Patienten für diese Zeit versorgen wollte. Ich dachte bei mir: “Das ist eine Chance, meine Liebe noch zu vervielfachen!” Obwohl auch ich mich mit dem Menschen schwer tat, hab ich den Schritt machen können.
Als ich in diese Wohnung kam, schlug mir so ein Gestank entgegen, dass ich schnellstens das Fenster aufreißen mußte, um mich nicht zu übergeben. - Für mich hieß es jetzt, beim Glauben und bei der Liebe zu bleiben, indem ich diesem Menschen in all seiner Not und Hilflosigkeit wertschätzend und liebend zu begegnen versuchte. Und das sollte mir weiterhin helfen, den Ärger über meine Kollegin zu überwinden. Für mich galt: “Leg in der Konkretheit der Liebe noch eins drauf!”- So habe ich (für sie) auch noch die Fenster geputzt und andere Reinigungsarbeiten übernommen, die nicht zu meinem Arbeitsfeld als Vertretung gehörten. Sie sollte sich freuen, wenn ich aus dem Urlaub zurück käme!
Dann kam die letzte Dienstbesprechung. Ich wollte in den Herbstferien Urlaub nehmen. Das Gespräch kam auf den Mann mit der Katz, es wurde nicht gerade liebevoll über ihn gesprochen. Vorsichtig erwiderte ich: “ Bei deinem Herrn ist es auch nicht gerade angenehm, aber ich habe es gern für dich getan!” Sie schaute mich an und schwieg.
Dann kam die Urlaubs- und Vertretungsplanung. Mein Urlaub stand plötzlich auf der Kippe, da sich niemand zur Pflege des besagten Herrn meldete. Doch dann meldete sich eben diese Kollegin und übernahm gleich drei Patienten - auch den etwas schwierigen Herrn. Ich war total erfreut. Nach der Dienstbesprechung sagte sie mir: “Weißt Du, ich hab mich echt gefreut über die Dinge, die Du für mich getan hast. Ich war ganz platt, sogar die Fenster hast Du geputzt! Und jetzt gönn ich Dir Deinen Urlaub von Herzen!”
Das Abi lag hinter mir. Das Studium begann. Ich mußte meine geliebte Heimatstadt verlassen. Diese Zeit war richtig schwer für mich. Vor wenigen Wochen war ich mit meiner Musikgruppe aus Siebenbürgen in Deutschland gewesen. Wir hatten wunderbare Tage verbracht und entdecken dürfen, wie konkret das Evangelium lebbar ist. Diese Entdeckung begleitet mich. Seither machen wir bei den “Freunden des Wortes” mit.
Aber nun war ich eingetaucht in eine Gesellschaft “ohne Gott”. In diesem Klima meiner Entdeckung treu zu bleiben, fiel mir schwer. Und dann kam auf einmal der Monatsbrief bei mir an: “Bleibe beim Glauben und bei der Liebe!” Als ich das las, begann ich zu weinen, denn diese Botschaft war allein für mich. Durch sie sprach Gott mich an. Er gab mir Kraft und Stärke. Ich konnte es kaum glauben, wie konkret Er ist und liebt. Er half mir und sagte mir: “Bleibe beim Glauben und bei der Liebe!” Auf einmal fühlte ich mich soooooo geliebt! Jetzt warte ich voller Spannung auf das nächste Wort!
Ein voller Arbeitstag lag vor mir. Ich war einer Kollegin zugeteilt, mit der ich bisher noch nicht zusammen gearbeitet hatte. Wir kannten uns nur vom Sehen her. Egal, die Chemie stimmte und es war ein sehr harmonisches Miteinander. Während kurzer Arbeitspausen erzählte ich, dass ich in den nächsten Tagen abgemeldet sei, da ich eine Gruppe Jugendlicher nach Italien begleiten würde. “Und wohin geht’s” fragte meine Kollegin interessiert zurück. “Nach Sassello, in Norditalien!” war meine Antwort.
“Was ist denn da so spannend?” Ich begann zu erzählen, von Chiara Luce, die vor gut 20 Jahren innerhalb eines Jahres an einem aggressiven Tumor gestorben ist und die diesen Weg ihres Leidens und Sterbens mit einer solchen inneren Kraft bejaht und angenommen hat, dass sie in einem Frieden Leben und Sterben konnte, der seinesgleichen sucht. “Wir werden dort sein, wo sie gelebt hat und der Quelle ihres Glaubens auf die Spur zu kommen versuchen. Wir werden mit Menschen reden, die sie gekannt haben und mit denen sie gelebt hat!” Weiter erzählte ich, dass es mich so sehr bewege, sogar in dem Raum sein zu dürfen, wo Chiara Luce gelebt hat und gestorben ist und dass wir ihre Eltern besuchen würden. “Ich möchte erspüren, wie man als Eltern damit umgehen kann, das eigene Kind so früh wieder gehen lassen zu müssen!” fügte ich hinzu.
Als ich das sagte, traf mich ein besonderer Blick aus den Augen meines Gegenübers. “Oh je” sagte ich, “ich habe Sie betroffen gemacht.” - “Ja, ich habe genau das erleben müssen. Vor 25 Jahren ist meine Tochter mit damals 10 Jahren an einem Hirn-Tumor verstorben.” Jetzt war ich betroffen! “Das tut mir so leid, ich wollte Ihnen nicht weh tun.” - “Das muss Ihnen nicht leid tun”, entgegnete meine Mitarbeiterin, “ich freue mich, wenn wir so offen reden können. Stellen Sie sich vor, im Mai hätte das Grab eingeebnet werden sollen. Das habe ich nicht ausgehalten. Aber es ging nicht, das Grab für weitere Jahre zu verlängern. Ich habe so unter der Vorstellung gelitten. Dann haben wir, mein Mann und ich, eine neue Grabstelle gekauft und meine Tochter umbetten lassen. Das war eine ganz schlimme Zeit! Aber jetzt habe auch ich wieder meinen Frieden. Und mein Mann, er ist mein zweiter Ehemann und nicht der Vater meiner Tochter, hat alle meine Sorgen um die finanzielle Belastung, die diese Situation hervorgerufen hat, völlig leicht genommen. Er hätte sogar einen Kredit aufgenommen um mir zu helfen!”
Ich war völlig gerührt von dieser Erzählung! “Tun Sie mir einen Gefallen?” wurde ich gefragt. “Aber klar!” war meine Antwort. “Erzählen Sie mir, was Sie in Italien erlebt haben und was es bedeutet?” - “Oh, liebend gerne! Ich freue mich darauf!”versprach ich meiner Kollegin. Dann haben wir uns umarmt, uns für diese völlig unerwartete Gespräch bedankt und uns ganz glücklich voneinander verabschiedet!