Ich bin glücklich!
Alle katholischen Bewohner des Altenzentrums hatten wir uns vorgenommen zu besuchen. Wir wollten heraus finden, wen wir noch zum Gottesdienst in die Kapelle abholen und wem wir die Kommunion aufs Zimmer bringen sollten. So klopften wir an einer Zimmertür. Sofort spürten wir: hier ist es anders, als bei den anderen Bewohnern. Ein Gerät piepste, ein Infusionsautomat stand in der Ecke... Wir gingen zum Bett der alten Frau und begrüßten sie. Ich nahm ihre Hand und sie schaute uns mit unsicheren Augen an. Wir stellten uns vor. Sie wurde unruhig, röchelte noch mehr. Mir war nicht klar, ob diese Frau uns verstehen konnte. Im hilflosen und unsicheren Blick dieser Frau, hörte ich förmlich den Ruf Jesu: "Mich dürstet “
Von der Stationsleitung erfuhr ich, dass diese Dame alles verstehen und sich nur schriftlich äußern konnte. Ich war sehr betroffen, von diesem Zustand der Hilflosigkeit, bei vollem Verstand... Die Frau hatte sich zu äußern versucht und wir hatten sie nicht verstanden! Erneut suchten wir sie auf. Leicht war das nicht! - Erneut nahm ich ihre Hand und sprach lauter als vorher. Dann würde sie verstehen, hatten uns die Schwestern wissen lassen. - Aber sie verstand nicht. Auf einen ihr hingehaltenen Zettel schrieb sie: “Habe nicht verstanden. Lauter reden!” Da ich nicht noch lauter reden konnte, was mich sehr betraf, schrieb ich auf, warum wir gekommen waren. Sie las, schaute uns an und auf einmal war ihr Blick voller Freude! Sie zauberte sogar ein Lächeln auf ihr Gesicht! Nach dem nächsten Gottesdienst nun werden wir ihr die Kommunion bringen. Mich dürstet! Wie gut, dass wir nochmal nachgehakt haben, wie gut, dass wir vor dieser Schwere und Beklemmung nicht weggelaufen sind!
Schwer pflegebedürftig war sie geworden. Ihr Mobilisationsrollstuhl, der sie noch etwas am Leben hatte teilnehmen lassen, war defekt. Als ich sie besuchte, fing sie an zu weinen, weil sie 1000 Euro zu den Reparaturkosten beisteuern sollte, die sie aber nicht hatte. Mir tat das so weh, zumal diese Frau sich überall verschenkte, wo sie nur konnte. Auch jetzt, in ihrem begrenzten Aktionsradius “Bett”, malte sie kleine Bilder, häkelte Topflappen, um anderen eine Freude zu bereiten. Aber alle geselligen Veranstaltungen im Gemeinschaftsraum und in der Kapelle blieben ihr versagt, weil ihr Rollstuhl kaputt war. “Mich dürstet!” kam mir in den Sinn. Wie war Hilfe möglich? fragte ich mich. Ich rief bei den Verantwortlichen der Wohnanlage an. Aufgrund angeblichen Selbstverschuldens - zwei Teile des Rollstuhles, die eher selten kaputt gehen, waren defekt - sollte die Frau viel Geld aus eigener Tasche zahlen. Aber mein Anruf zeigte Wirkung! Beide Teile wurden bestellt! Sie werden in wenigen Tagen eingebaut - ohne Zuzahlung!
Wie so oft, brachte ich mein Kind zum Sport. Dieses Mal, ich weiß nicht warum, stieg ich aus, um eine Mutter zu grüßen, die ich zufällig sah. Im Laufe des Gespräches erzählte ich vom Todesfall eines kleinen Kindes, ganz in meiner Nähe. Die Reaktion der Frau, die ich seit einigen Jahren relativ gut kenne, war für mich völlig unerwartet. Sie selber erzählte, dass sie eine Totgeburt hatte, kurz vor dem Kind, das sie gerade zum Sport gebracht hatte. “Das war ganz schrecklich!” erzählte sie, “damals musste alles so schnell gehen. Ich hatte gar keine Zeit alles zu verarbeiten. Und heute? Mir fehlt jede Erinnerung. Ich habe kein Bild von meinem Kind und keine Ahnung mehr, wie sie aussah, unsere Tochter. Niemand hat uns Zeit gegeben, noch nicht einmal zur Beerdigung.” Mittlerweile füllten Tränen ihre Augen. Ich blieb und erzählte, wie ich versucht hatte, den Eltern des verstorbenen Kindes nahe zu sein, immer wieder neu... Unsere vertrauensvollen Worte ließen eine große Nähe unter uns entstehen.
Tief berührt von diesem Weg bedankte sie sich und sagte: “So eine Begleitung hätte ich mir auch gewünscht. Danke, dass ich erzählen kann. Wie lange habe ich nicht darüber gesprochen! Alles darf man erzählen, nur Dinge, die weh tun, will niemand hören, danke!”
An allem hatte er etwas auszusetzen. Nörgeln schien zu seinem Habitus geworden zu sein. All seine Mitschüler reagierten genervt und gelangweilt. Ich lernte ihn kennen, bei einem kurzen Kontakt in seiner Schule. Am Ende der Stunde gingen alle Schüler zügig aus dem Klassenzimmer. Ich blieb zurück, allein mit dem jungen Mann. Ich spürte eine echte Not in seiner Seele. Ich spürte “Durst” in ihm. Nachdem auch ich heftige Kettensätze von Negativ-Äußerungen hatte ertragen müssen, schaute ich ihn an. Er blieb in seinem Strudel. Behutsam, aber klar sagte ich ihm: “Weißt Du, die Probleme, die Du nach außen anprangerst, die liegen nicht ‘draußen’, wo Du sie suchst, sondern sie liegen in Dir!” Er blieb in seinem Wortschwall. Ein zweites und drittes Mal versuchte ich ihm klar zu machen: “In Dir ist ein echtes Dunkel und aus diesem Dunkel heraus siehst Du auch draußen nur Dunkel!” Von einer Reinigungskraft wurden wir aus der Klasse geschickt. Ich ging mit ihm über den Flur. Auf einmal sagte er mir: “Ich hab doch auch niemanden, mit dem ich meine Probleme bereden kann und dort, wo ich es versucht habe, bin ich immer nur cool oder fromm abgespeist worden!”. Wir blieben dran. Ich schlug ihm vor, gemeinsame Zeit auf einem Weg mit anderen Jugendlichen zu verbringen. Erstaunt schaute er mich an. Er fühlte sich ernst genommen - vielleicht seit langem zum ersten Mal wieder. “Darüber denk ich nach! Ich meld mich morgen!” Ich gab ihm meine Email, dann verabschiedeten wir uns