Ich bin glücklich!
“Ich mache gerade die schwerste Zeit meines Lebens durch!” lese ich in einer Mail. Diese Botschaft ist gekoppelt mit der Frage, ob wir uns möglichst schnell sehen können. “Mich dürstet!” schießt mir sofort durch den Kopf! Jesus ruft in dieser Mail! Meine Tage sind übervoll. Aber wenn ER ruft, ist das wichtiger als alles andere, denke ich. So mache ich mir ein großes Zeitfenster am nächsten Tag frei. Wir vereinbaren ein Treffen. Als wir uns sehen, schaue ich in die verweinten Augen eines jungen Mannes. Er hatte mehr gelassen als viele andere, um mit seiner Frau ein gemeinsames Leben zu beginnen. Sie waren glücklich. Alles schien gut zu laufen. Und dann war da plötzlich eine geheime Verliebtheit seiner Frau zu einem anderen Mann. Mein Gesprächspartner hatte es gespürt, dass sich in seiner Frau etwas verschlossen hatte. Er hatte versucht, sie zu lieben - mit aller Phantasie und Feinfühligkeit. Aber es war keine Entwicklung mehr in ihre Beziehung gekommen. Eine nächtliche sms hatte alles offenbart. Tränen waren geflossen, die ganze Nacht hindurch. Unfähig schien er, den normalen Alltag zu vollziehen. Alles brach zusammen. Eine Zukunft schien nicht mehr möglich. Wir sprachen lange, versuchten zu verstehen, versuchten die Verschiedenheit von uns Menschen zu ergründen udn begannen langsam “Krisen” als Chancen zu begreifen. Wenn wir sie annahmen, waren sie kein Brett mehr, vor das wir laufen, sondern wurden zum Sprungbrett in eine verbindlichere Wirklichkeit... Als er ging, schien seine Hoffnung ein wenig aufgeflammt zu sein, aber noch sehr fragil. Eine halbe Stunde später kam seine Frau. Auch dieses Mal ein tiefes ehrliches Gespräch. - An diesem Abend betete ich lange für die beiden. Der Raum zwischen ihnen sollte offen bleiben für den, der allein heilen und Neu-Anfang schenken kann. Am nächsten Tag eine Kurzbotschaft: “Die Zukunft sieht nicht mehr so düster aus wie gestern!”
Tief in der Nacht finde ich noch eine Mail: “Ich weiß nicht, was da manchmal mit mir los ist!” Plötzlich werd ich "wach" und weiß nicht, was die letzten zwei Stunden war. Obwohl viel Stress der vergangenen Wochen von mir abgefallen ist, habe ich nicht das Gefühl, dass es ruhiger wird. Und dann kam eine Begegnung, auf die ich mich echt gefreut hatte, aber irgendwie war ich gar nicht richtig da. Es fiel mir so schwer "anzukommen", "loszulassen", dabei hatte ich mich so lange auf den Termin gefreut. Danke, dass du noch angerufen hattest. Mir ging es wirklich nicht gut. Ich hatte das Gefühl irgendwie nicht "gelebt" zu haben, die Zeit ist einfach an mir vorbei gerauscht. Ich saß - wie gelähmt - auf meinem Sofa, starrte vor mich hin und Tränen liefen über meine Wangen... - “Mich dürstet!”
Ganz urplötzlich war bei ihr aggressiver Krebs in der Lunge fest gestellt worden. Nun hatte sie schon 6 schwere Chemo-Therapien hinter sich gebracht - vorbildlich getragen. Nach jeder Therapie hatte sie zwei schwere Wochen mit stärksten Schmerzen durchzustehen gehabt. Augenblick für Augenblick hatte sie verschenkt - stundenweise aufgeteilt. Ich war berührt von diesem konkreten Leben. Selbst aus dem Schmerz hatte sie ein Geschenk der Liebe gemacht. Ich rief an, um zu fragen, wie es geht. Nun stand die Zeit der Bestrahlung an. Knapp einen Monat - täglich. Wie ihr schon stark geschwächter und schmerzerfüllter Körper reagieren würde, wußte sie nicht. “Bitte betet weiter für mich!” höre ich sie sagen. Ich spüre, wie Jesus in diesem Menschen seinen Durst heraus-ruft. Wir gehen diesen Weg des Leidens weiter - in tiefer Verbundenheit.
Im Evangelium des heutigen Tages hatte Jesus mit dem Gleichnis vom unfurchtbaren Feigenbaum deutlich zu machen versucht, dass unser (geistliches) Leben auf Fruchtbarkeit hin angelegt ist. Wer keine frucht bringt, wird - wie der Feigenbaum - “umgehauen”. Aber der Text endet nicht so niederschmetternd. Vielmehr gibt es noch “eine letzte Chance”. Der Weinbauer bittet - im Gleichnis - den Besitzer des Weinberges, noch ein Jahr zu warten. Er will den Boden um den Feigenbaum auflockern und düngen und ihm eben noch “eine Chance” geben. Wenn dann auch keine Frucht kommt, dann kann der Baum beseitigt werden. In meiner Predigt hatte ich mehrere konkrete Erfahrungen weitergegeben, wie Menschen begonnen hatten, ihre “letzte Chance” zu nutzen und wirklich umzukehren. Nachmittags erreicht mich eine sms: “Oft komme ich mir vor, wie der Feigenbaum aus dem heutigen Evangelium. Ich habe noch eine Chance bekommen. Dafür bin ich Gott sooooo dankbar. Jetzt gleich besuche ich eine Dame von 92 Jahren, die ich Anfang dieses Jahres kennen gelernt habe. Ich bin so dankbar!” Als ich dieses SMS lese, spüre ich: Der Ruf Jesu, “Mich dürstet!” ist auch bei dieser Frau angekommen. Welche Freude!