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Ich bin glücklich!

Es war viel Schweres und Lastendes, was der Tag mit sich gebracht hatte. Trauer, die Menschen mit mir geteilt hatten, Schuld, die ich gehört und erlebt hatte, Sich-nicht-lösende Dinge, die Menschen mir anvertraut hatten, Enttäuschungen über Versprochenes, was nicht eintraf. Irgendwie hatte sich das heute immer wieder auf meine Seele gelegt. Und viele, die ich am Telefon erreichen mußte, erreichte ich nicht. Auch die sich nicht weiter entwickelnde Arbeit galt es noch zuzulassen und zu leben. Ich spürte eine Traurigkeit in meiner Seele, ein Gefühl von Sinnlosigkeit umspülte sie..
“Du bist mein geliebter Sohn!” sah ich auf einer kleinen Karte. Dieses Geheimnis schien mir im Augenblick nicht offen zu sein... So viel Arbeit lag noch vor mir. Aber sinnstiftender Elan wollte sich einfach nicht einstellen.
Meine Augen fielen auf das Gesicht des gekreuzigten Jesus. Mein Blick ruhte in dem Seinen. “Nichts hast du da am Kreuz noch tun können!” sagte ich Ihm still. “Dein Wirkkreis schien gleich null. Du hast nur noch jeden Augenblick verwandelt in eine Liebe, die einfach da ist - ganz kleinschrittig! Augenblick für Augenblick. Atemzug für Atemzug!” Ein Bild, das ich in den vergangenen Tagen einem jungen Menschen hatte zusagen können, kam mir in den Sinn: “Es gibt Autos mit zwei Getrieben, das eine ist für steiles Berg-Gelände. Wenn du das einschaltest, kannst du nicht mehr schnell fahren, aber du kommst steilste Berge hoch. Oft braucht die Seele den ‘Berggang’.” Ich schaltete um. Schaute nur noch auf die nächstliegenden Dinge und tat sie ganz - für IHN. Meine Seele befreite sich mehr und mehr. Abends, nach einer Sitzung, zu der viele nicht gekommen waren, ergab sich noch ein Gespräch, ganz einfach, ganz ehrlich, ganz tief. Ja, Jesus, wir sind deine geliebten Kinder!
Voller Freude und Verliebtheit stehen sie vor mir. “Wir wollen heiraten!” Von weit her waren sie zum Vorbereitungsgespräch gekommen.”Ich kann seit langem nicht mehr glauben! Als Kind und Jugendlicher ging das, aber irgendwie ist mir da was verloren gegangen!” höre ich von dem jungen Mann. “Du bist mein geliebter Sohn!” kommt mir in den Sinn. Jeder von uns dreien, die wir beim Cappuccino zusammen sitzen, ist unendlich geliebt, “Mit der Auferstehung Jesu hatte ich schon als Kind Schwierigkeiten!” erzählt er weiter. Wie kann eine tiefe Verständigung zwischen unseren Erfahrungswelten gelingen? frage ich mich.
Mein Eindruck ist: Die Erfahrung, die wir gemacht haben und machen, ist eine ähnliche, aber die Bedeutung für uns und die Art und Weise sie ins Wort zu bringen, ist eine andere. “Wo zwei oder drei...” beginne ich, entsteht ein Raum. Drei Punkte im Raum verteilt, lassen zwischen sich einen Raum entstehen. Der Name Gottes ist Liebe, genauer qualifiziert eine Liebe, die bis ans Ende geht. Also: wo zwei oder drei aus Liebe bereit sind, bis ans Ende füreinander zu gehen, dort beginnt der Raum unter uns zu brennen, zu leuchten, zu beben, vielleicht einfach zu leben...
Ich schaue in leuchtende Augen meines Gegenübers. Er nickt. Ich erzähle von einer Erfahrung mit einer Lehrergruppe, in der mehrere sich gegen die Kirche entschieden haben. Auch mit ihnen habe ich diese Erfahrung des “lebendigen anrührenden Raumes” gemacht. “Irgendetwas ist hier unter uns passiert, irgendwas ist geschehen. Wir wissen nicht was!” hatte ich von ihnen gehört. Ich frage: “Könnte es nicht sein, dass nicht irgendetwas sich ereignet hat, sondern dass sich JEMAND ereignet hat? - also vom ‘It happens!” zum “He happens?”
Als wir auseinander gehen herrscht ein tiefer Friede unter uns. Jeder durfte so bleiben, wir er ist und darin die tiefe Erfahrung machen: “Ich bin geliebt!” Lebendiger Raum, Ort des Lebens für den, der immer verborgen bleiben wird!
Als ich heute morgen aufstand, war ich unfähig, mich zu konzentrieren,  totales Durcheinander der Gedanken in meinem Kopf. Zuwenig Schlaf, ein straffes Tagesprogramm und noch einen Pflegehasen, den es zu pflegen galt. Es war so gar nicht der ruhige Morgen, um mich auf Gottes Wort einzulassen. Und dabei so ein schönes Fest: ‘Taufe des Herrn’. Ich war frustriert. Auch beim anschließenden Gebet wollte sich keine Konzentration einstellen...Als ich später in der Kirche saß, habe ich Gott diesen meinen Zustand hingehalten: “Ich bin total durcheinander, nicht gut drauf, ich brauche deine Hilfe, damit diese Messe, die Texte, die Gebete, das Sakrament mich berühren kann.”
Der Gottesdienst begann. Das Chaos in mir blieb! Ich war enttäuscht - vor allem von mir, weil ich mich nicht zusammenreißen konnte. Ziemlich resignierend! Auch das Monats-Motto hatte mein Herz innerlich noch nicht berührt, so wie sonst... Und dann, kurz vor dem Empfang der Kommunion, sagte der Priester diesen Satz aus dem Tagesevangelium: "Du bist mein geliebter Sohn (ich höre auch immer ‘geliebte Tochter’)! In diesem Augenblick kam mir in den Sinn: UND ICH LIEBE DICH  TROTZDEM! Ich hab das als ein Riesengeschenk Gottes erlebt. Auf einmal wuchs Zuversicht. Das Gedankenchaos ging zwar weiter, aber die Situation war eine andere. Ich konnte mein inneres Chaos annehmen, weil ich ja in und mit all dem geliebt bin! Der Tag wurde wunderschön, viel Liebe zwischen mir und meiner Mutter! Und abends, beim Vespergebet, war ich auf einmal ganz da -  bei Ihm.
Eine kleine Erfahrung aus der Schweiz: In einer der Pfarreien, in der ich tätig bin, gibt es eine aktiv in der Pfarrei engagierte Frau, die ständig am Schimpfen ist. Über alles und jeden. Egal, was man macht, es ist in ihren Augen falsch. Gestern, zwischen zwei Sitzungsterminen, laufe ich noch schnell in den Supermarkt. Und wen sehe ich dort: eben jene Frau. Sofort falle ich in ein tiefes Loch von Selbstmitleid: warum muss ich auch gerade diese Frau treffen. Doch dann SPIEGELT sich mein Gesicht im Kühlfach der Gemüse-Abteilung. Und sofort kommt mir unser Monatsmotto in den Sinn. Und wenn ich doch unbedingt von Gott geliebt bin, dann darf ich diese Liebe auch weiter schenken. So gelingt es mir, der Frau mit einem Lächeln zu begegnen. Augenblicklich beginnt sie, über verschiedene Leute aus der Pfarrei her zu ziehen. Ich mache mir bewusst, dass auch diese Frau einmalig und kostbar, eine geliebte Tochter Gottes ist. So lade ich sie ein zu einem Gespräch. Nicht im Supermarkt, sondern hinterher bei mir im Pfarrhaus. Und dort kann die Frau dann davon erzählen, wie schwer ihre Situation derzeit daheim ist. Wie sehr sie darunter leidet, dass sich das Leben nicht so entwickelt hat, wie sie es sich gewünscht hat. Am Ende des Gespräches sind wir beide beschenkt - von einander, und besonders natürlich von IHM, der uns in seiner Liebe hält. Ich erinnere mich an einen Satz des Heiligen Johannes vom Kreuz: "Lege Liebe hinein, wo keine Liebe ist, und Du wirst Liebe empfangen!" Wie wahr. Der Abend ist frei. Zum ersten Mal seit langer Zeit keine Verpflichtung. Endlich habe ich Zeit, um den "Hobbit" im Kino zu sehen. Dankbar falle ich, viel zu spät, ins Bett - und der grösste Dank gilt dem Spiegel im Supermarkt!