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Ich bin glücklich!

Mit einem jungen Mann habe ich mich in meiner Einsatzstelle als Langzeitfreiwillige über meinen Glauben unterhalten. Er ging davon aus, dass ich gekommen bin, um die Kinder im Kindergarten zu „missionieren“ und ihnen den katholischen Glauben näher zu bringen. – Natürlich will ich die Kinder lieben lehren und wir beten auch drei Mal am Tag, doch „mein Projekt“ ist viel mehr als das. Ich helfe den „Mamis“ (Kindergärtnerinnen) bei ihrer Arbeit und entwerfe Tänze und Lieder für die Kinder. Ich erzählte ihm, dass ich mein Leben verschenke, wo ich kann.
Anschließend kamen wir darauf, wie ich meinen Glauben verstehe und lebe. Wir sprachen über Themen wie „Hölle“ und „Heilige“. Wichtiger jedoch war mir, ihm zu sagen, dass ich an Gott und an Jesus glaube und an deren Botschaft: Ich glaube, dass Liebe das Fundament unserer Kraft und unseres Glücks ist und ich glaube, dass Gott immer mit mir ist. Aber er lässt uns frei, zwingt uns zu nichts!  Meine Erfahrung ist jedoch:  Wer sich auf den Lebensstil Jesu einlässt, wer wirklich liebt, wird reich beschenkt. Das passt total gut zu meiner Entscheidung, für ein Jahr als Missionarin auf Zeit ins Ausland zu gehen. Ich war gegangen, um mich zu verschenken, aber Vertrauen war angesagt!  „Ich habe gezweifelt, vor Sorge geweint… aber irgendwann habe ich den Sprung des Vertrauens auf Gott hin gemacht. Da ist mir bewusst geworden, dass er immer bei mir ist und mich beschützt und ich nie alleine bin. Und nun geht‘s  mir unglaublich gut. Ich bin so glücklich, hier zu sein und jeden Tag neues erleben zu dürfen. Ich bin so froh, dass ich vertraut habe.“
Der junge Mann hatte mir aufmerksam zugehört. Jetzt sagte er: „Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass Glaube nicht nur Kirchbesuch ist, bei dem man Gott lobt, um in den Himmel zu kommen!“

Im Brief einer jungen Frau, die uns mit ihrer Musik-Gruppe aus Siebenbürgen besucht hatte, lese ich: “Das internationale Rosenkranzgebet war sehr, sehr schön. Viele von uns können kein Deutsch und weil wir immer die verschiedenen Teile des Rosenkranzes in unseren verschiedenen Sprachen gebetet haben, konnten wir alle zusammen beten und uns verstehen!” - Wenige Tage später bin ich mit zwei bosnischen Freunden unterwegs. Auf langen Autofahrten kommt uns die Idee, Rosenkranz zu beten. Wie so oft sammeln wir all die Anliegen, die uns bewegen und die uns Menschen zugetragen haben. Dann beginnen wir. Und wieder neu in unseren verschiedenen Sprachen, in kroatischer und in deutscher Sprache. Wieder finden wir - jenseits der Unterschiedlichkeit unserer Sprachen - in eine tiefe Sinfonie mit Gott und untereinander. - Zwei Tage später besuche ich meine Mutter, die seit dem Tod  ihres Mannes / meines Vaters viel allein ist. Sie freut sich sehr über meinen Besuch. Wir reden viel, arbeiten und tauschen über viele Dinge aus. Abends dann die Idee: “Sollen wir noch zusammen den Rosenkranz beten?” - “Gerne!” Und wieder neu beginnen wir und ich habe sie alle im Herzen, denen ich versprochen habe, in diesem Jahr besonders an sie zu denken: Rebekka in Südafrika, Petra in Sarajevo, Patrick in Brasilin, Silvia in Neuseeland, Niko in Kanada, Marcus in Italien, Rita in Rumänien...

Ich war mehr als müde, denn ich war nachts sehr gefordert gewesen. Und dann stand da noch die Frage einer mir unbekannten Frau im Raum, ob ich bei ihr - im Altenheim - mal vorbei schauen könne. Eigentlich hätte ich ein paar Stunden Ruhe gebraucht, aber die Vorstellung, dass die alte Frau vielleicht wartet und die einfach zu beantwortende Frage nach der größeren Liebe, gaben mir den Impuls, noch zum Heim zu fahren.
Die Frau, auf die ich traf, war noch gar nicht so alt. Sie lag im Bett und konnte nicht mehr reden. Große Augen sahen mich an. Ich fühlte mit ihr. Körperlich konnte sie sich kaum noch bewegen. Ich stellte mich vor. Sie zeigte kaum wahrnehmbare Reaktionen. Dann entschuldige ich mich für mein vielleicht nicht taufrisches Aussehen, wegen des Nachtdienstes. Prompt huschte ihr ein leichtes Lächeln übers Gesicht! Das Eis war gebrochen und wir konnten ohne Worte perfekt miteinander kommunizieren!!  “In der kommenden Woche schau ich mal wieder bei Ihnen vorbei, wenn Sie mögen!” sagte ich ihr zum Abschied. Während ich das sagte, hielt ich ihre Hand. Und sie, die sich kaum bewegen kann, drückte sie leicht! Und ihre Augen, begannen richtig zu leuchten. So kostbar -  dieser Moment!!! Ganz reich beschenkt und überglücklich bin ich dann heimgefahren.  Gut, dass ich der Müdigkeit nicht nachgegeben hatte!

Immer neu treffen mich Botschaften, die mich tief berühren. Ein totes Kind ist in der Baby-Klappe eines nahen Krankenhauses abgelegt worden. Jetzt läuft die Suche nach dem “Täter” / der “Täterin” auf Hochtouren, denn das Kind hat nach der Geburt gelebt. Ich spüre die Not und Verzweiflung der jungen Mutter, die Ausweglosigkeit und ich sehe das Kind vor mir, das nicht leben durfte. Mit dieser Dunkelheit im Herzen bin ich da - vor Gott.
In einer Mail lese ich, dass die Eltern einer syrischen Familie auf langen Fluchtwegen mittlerweile in Bulgarien angekommen sind. Ein Verwandter dieser Familie hat alle Verpflichtungserklärungen für die Eltern unterschrieben und wollte sie nun in Bulgarien abholen. Voller Hoffnung und Vorfreude ist er aufgebrochen. Gestern ist er am Flughafen in diesem Land verhaftet worden, weil ihm vorgeworfen wird, ein Schlepper zu sein. “Haben Sie noch eine Idee, was wir machen können?” lese ich in der Mail. Ich spüre die Verzweiflung des Festgenommenen, der “alles richtig gemacht” hat und der nun ungerechtfertigter weise leidet und festgehalten wird. Ich spüre die Verzweiflung der in Deutschland wartenden Familie und ich spüre die Not der mittlerweile alt und hilfsbedürftig gewordenen Eltern und ich spüre die Ohnmacht der Helfer. Wieder neu: Da bin ich, auch mit ihrer Not vor Dir.
In den Bildern des Fernsehens schauen mich immer wieder die Flüchtlinge auf Lampedusa an, Helfer bergen Tag für Tag noch Tote dieser schrecklichen Katastrophe vor den Toren Europas. Auch diese Gesichter gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Ein junger Mann aus Eritrea bittet eine Reporterin um ihr Handi, um zu Hause anzurufen. Er sagt nur ganz kurz, es sei alles klar, er sei angekommen! Ich sehe sein Gesicht. Und gleichzeitig “sehe” ich das Gesicht der vielen Eltern und Verwandten in Eritrea und Somalia, die auch auf Botschaft ihrer Kinder oder Verwandten aus Europa warten und nie mehr Botschaft erhalten werden. Ihr Schmerz geht mir sehr unter die Haut. Auch diesen Schmerz versuche ich mit auszuhalten: Da bin ich - immer neu in und mit der Dunkelheit dieser Welt - vor Dir.