Zum Hauptinhalt springen

Ich bin glücklich!

Noch schnell in den Aldi. Schon von weitem sehe ich einen Mann in ärmlicher Kleidung vor dem Laden stehen. Er hält einige Zeitschriften in der Hand, die er zum Verkauf anbietet. Alles drängt mich an ihm vorbei, denn ich weiß, dass ich diese Zeitung kaum kann lesen werden. Mir fällt die Brille ein. “Schau mit den Augen Gottes!” denke ich. Ich spreche den noch jungen Mann an. Er erzählt ein wenig von sich - im Trubel des Einkaufstresses. Ich kaufe ihm eine Zeitung ab und bitte ihn, die Zeitung noch so lange zu behalten, bis ich den Laden wieder verlasse. “Wissen Sie, ich hab keine Tasche. Von daher ist es für mich leichter, die Zeitschrift nach dem Einkauf mitzunehmen!” . “Kein Problem!” erwidert er. Nach wenigen Augenblicken im Geschäft, spricht mich der Filial-Leiter an. “Hier, das ist ihre Zeitung! Wir sind angewiesen, solche Zeitungsverkäufer von unserem Gelände zu verweisen. Und der Mann hat - ehe er ging - mir noch gesagt, diese Zeitung gehöre ihnen. So bring ich sie Ihnen!” Ein wenig verdutzt nehme ich die Zeitung in Empfang. Gut, dass ich sofort reagiert und diesem Mann noch ein Exemplar abgekauft hatte. Vielleicht hatte ich ihm an einem Tag voller Ablehnung einen kleinen Augenblick ehrlichen Miteinanders vermittelt.

Im Auto erreicht mich ein Anruf. Ich erfahre, dass ein älterer Mann, den ich vor einigen Wochen kennen gelernt hatte, verstorben ist. Meine Gedanken wandern zu seiner Frau, die auch schon weit über 80 Jahre alt ist. Als ich sie besucht hatte, waren mir ihre tiefen, gütigen und liebevollen Augen sehr ins Herz gefallen. Ihr Rücken war von den Jahren sehr gebeugt. Sie konnte nur noch in tief gebückter Haltung gehen. Sie sorgte sich um jeden und jedes. Von einer Nachbarin hatte ich erfahren, dass diese alte Frau sich Tag für Tag von ihrem Sohn hatte ins Altenheim zu ihrem Mann bringen lassen. Sie kam mittags und half ihrem Mann beim Essen. Allein schaffte er das nicht mehr. Sie blieb bis zum Abend und ließ sich dann wieder heimfahren, Tag für Tag. Ich sah ihre tiefe, konkrete Liebe vor meinem inneren Auge. “Siehst du diese Frau?” kam mir in den Sinn. Auf dem Heimweg betete ich einen Rosenkranz für sie und ihren Mann, der angekommen war.

Lange sprach ich mit einem Freund, der mich anrief. Ich erzählte von meiner Familie und davon, wie wir mit einem Onkel umgehen, der ins Pflegeheim mußte und den ich über Jahre hinweg immer wieder betrunken erlebt habe. Die ärztliche Diagnose über seinen Zustand war nieder schmetternd. “Wie gehst Du denn mit all dem um?” fragte mich mein Freund. Ich begann zu erzählen, wie ich dafür zu sorgen versuche, dass dieser Onkel in Würde leben kann. Er tut mir richtig leid, ihn so elendig und - zum großen Teil selbstverschuldet - hilflos  am Ende seines Lebens zu erleben “Wieso kannst du für diesen Menschen noch so fühlen? Woher nimmst du nur die Kraft? Er hat doch deiner Familie so viel angetan!” kam dann als Frage. “Wer bin ich, dass ich ihn verurteilen könnte?” war meine Gegenfrage. Ich habe ihm dann erzählt,, wie sehr ich mich von Menschen begleitet fühle und immer wieder aufgefangen weiß. Und ich habe ihm erzählt, dass ich alle negativen Gedanken, die eben auch kommen, zu Jesus bringe. “Weißt Du”, hörte ich mich sagen, “es hilft mir zu beten und mich leer zu machen. Jesus ist immer da und nimmt alles in sich hinein. Wenn ich Jesus nachfolgen will, muss aus dem schlimmsten Schmerz doch Liebe werden, sonst stimmt doch etwas nicht!”  Mein Freund wurde sehr nachdenklich. So wie dieses Mal hatte ich noch nie mit ihm gesprochen. Ich verstand neu: So schmerzhaft eine Situation auch ist, in allem ereignet sich Reife, wenn ich sie zulassen und mit allem zu Jesus gehe!

Fast 1000 Gäste aus sieben Partnerstädten waren in unsere Stadt gekommen, um ein internationales Fest zu feiern. Drei Franzosen aus einer kleinen französischen Stadt hatten wir in unsere Wohnung aufnehmen dürfen. “Oft haben Menschen schon Engel beherbergt, ohne es zu wissen!” kam mir in den Sinn - ein Wort aus dem Hebräerbrief. So versuchten wir mit aller Liebe und viel Einfühlungsvermögen, den Gästen für die Tage in unserer Stadt ein echtes Zuhause zu schaffen. Nein, Wein sollte es zum Abendessen nicht sein, denn “wir sind doch hier in Deutschland, dem Land der vielen Biere!” hörten wir. Also standen am zweiten Abend verschiedene Biersorten auf dem Tisch. Unsere Herzen wurden warm “Nous sommes en famille!” hörten wir schon nach wenigen Stunden. Der zweite Abend wurde lang - sehr lang. Aus dem geplanten Gang in die Stadt wurde nichts. Das tiefste Geschenk, was wir als Menschen einander schenken können “anvertrautes Leid”, wurde ausgetauscht. Die eine Frau erzählte von ihrem Leid. Vor wenigen Jahren hatte sie sich scheiden lassen... es war einfach nicht mehr gegangen. Nun war sie froh, mit ihrer Freundin und deren Sohn unterwegs sein zu dürfen. Und auch diese erzählte. Vor zwei Monaten war ihr Vater gestorben und vor nicht ganz einem Jahr ihr Mann... Unsere Herzen lagen offen. “Ich weiß gar nicht”, sagte die zweite, “warum wir das alles erzählen. Aber irgendwie ist hier unter euch ein solche Klima, dass ich alles sagen kann, was mir schwer auf der Seele liegt. Das tut so gut! Das ist irgendwie heilend!” - Siehst du diese Frau? - Schwer vom Leben gezeichnet, war sie nicht mutlos geworden, sondern mit ihrer ganzen Liebes- und Lebenskraft aufgebrochen ins Leben - sogar bis nach Deutschland - in unsere kleine Wohnung hinein.