Ich bin glücklich!
Vor wenigen Tagen hatte ich mit meiner Kollegin einen Antrittsbesuch bei der Leiterin an einer neuen Stelle zu absolvieren. Ich hatte sie bisher noch nicht persönlich kennen gelernt. Es begrüßte uns eine Frau, etwas jünger und länger gewachsen als ich - beherrscht distanziert und eine moderne dunkle Brille tragend. Es entwickelte sich ein freundliches, geschäftliches Gespräch zwischen uns drei Frauen. Sie fragte die Situation der Abteilung ab und bedauerte fehlende Kommunikation im vorangegangenen Prozess. Dann wollte sie wissen, inwieweit eine weiter Zusammenarbeit mit uns angesprochen worden war. Diese Idee hatte es gegeben, aber meiner Bitte, dieses Angebot schriftlich zu formulieren, ist nie entsprochen worden. Langsam kam in mir eine wahnsinnige Enttäuschung hoch. Wieder empfand ich, wie unsauber die Geschäftsleitung mit uns umgegangen war Ich musste ringen, nicht in Tränen auszubrechen. Es tat so weh, das Ende unserer Abteilung so erleben zu müssen. Die Art und Weise des Umgangs miteinander blieb verletzend.
Ich war noch übermüdet von den vergangenen Arbeitstagen, es war zudem sehr warm in dem Besprechungszimmer. Ich saß am Fenster und versuchte meiner Emotionen Herr zu werden, als mir die Brille wieder auffiel. Wir drei Frauen trugen alle eine Brille. Das war da wirklich meine Rettung! Immer wieder habe ich leise zu mir gesagt: “Blick mit Liebe! Blick mit Liebe!” Es hat etwas gedauert, aber ich wurde zusehends ruhiger und gelöster. Die Atmosphäre entspannte sich und ich konnte sogar wieder einige Späße in das Gespräch einbringen. Die Trauer und die Wut waren wie weggeblasen und sind es noch! Zu hause habe ich mich dann aufs Bett gelegt, um Kraft zu tanken. Ich fand ins Gebet - so innig und tief, wie schon lange nicht mehr. Jetzt kann ich sagen: Danke für den Schmerz, der diese Begegnung mit Gott möglich gemacht hat.
Meine Tochter bekam mitten in der Nacht kräftige Bauchschmerzen. Gemeinsam mit meinem Mann brachte ich sie sofort ins Krankenhaus. Sie hatte schreckliche Schmerzen. Sie kniete auf dem Boden und krümmte sich. An der Krankenhauspforte angekommen, bat ich um schnelle Hilfe. Die dringende Notwendigkeit war sofort ersichtlich. “Haben Sie die Versicherungskarte?” kam als einzige Reaktion. Ich gab die Versicherungskarte der Fragenden weiter. Sie schob die Karte in ein Lesegerät und schaute dann auf den Desktop. Unsere Tochter hörte wie die Frauen - sie waren zu zweit - sich in diesem Augenblick fragten: “Was läuft denn heute im Fernsehen?” "Mama”, sagte unser Kind, "können die sich denn jetzt nicht um mich kümmern, meine Schmerzen sind doch wichtiger!” Mein Herz weinte, meine Tochter tat mir leid , aber die beiden Frauen im Pfortenbüro noch mehr. In diesem Augenblick fühlte ich mich richtig schwach und voller Zweifel. “Wie konnten diese beiden Frauen ein Kind so kalt behandeln? Warum haben sie keine Liebe gezeigt und kein tröstendes Wort gesagt?” - Später, als ich mit unserer Tochter wieder zu Hause war, merkte ich, wie sehr dieses Verhalten meine Tochter verletzt hatte. “Mama, wie die mich behandelt haben... das war alles andere als in Ordnung!” In diesem Augenblick kam mir ein Wort Jesu in den Sinn und ich sagte zu unserem Kind: “Du hast Recht, aber verzeihen wir den beiden, auch wenn das jetzt schwer ist, denn die beiden wissen nicht, was sie da getan haben! Beten wir für sie!” In diesem Augenblick umarmte mich meine Tochter und wir beteten gemeinsam um die immer neue Kraft, mit Gottes Augen auf alles schauen zu können, was geschieht.
Die letzten Tage hatte ich immer und immer wieder an sie gedacht. Sie war von einer schweren Krebs-Erkrankung gezeichnet und hatte jeden Augenblick ihres Leidens für andere Menschen verschenkt. Heute noch würde sie nach Indien in ihre Heimat fliegen, um ihre Familie zu besuchen. Mich drängte es, sie noch kurz zu erreichen. Kurz vor ihrem Abflug gelang der Anruf. “Weißt Du” - höre ich sie sagen - “durch diese Krankheit bin ich Gott noch viel, viel näher gekommen. Ich kann es kaum sagen: Aber ich fühle mich so sehr geliebt. Er hat das Schwerste, was er für uns ausgehalten hat, mit mir geteilt. Er hat es mir anvertraut und nun darf ich es mit ihm leben! Eine solche Liebe habe ich vorher in meinem Leben noch nie gespürt. Ich bin so dankbar!” Mit innerster Ergriffenheit höre ich einem Menschen zu, der in seiner Seele zu tiefst gläubig alles aus Gottes Hand angenommen hat und sich wie ein kleines Kind in Seiner Hand geborgen fühlt. Als ich auflege, durchströmt eine tiefe Dankbarkeit meine Seele. Wie gut, dass ich noch angerufen habe! Eine Krankheit - durch diese Brille angeschaut und verstanden - habe ich lange nicht mehr so erleben dürfen!
Früh morgens war ich einer älteren Ordensschwester begegnet. Lange hatten wir uns nicht gesehen, so gab es eine Menge zu erzählen. Ich spürte die Freude dieser Frau über die uns unvermutet geschenkte Zeit - mitten im Galopp des Tages. Dann verabschiedeten wir uns. Beim abendlichen Tagesrückblick fiel mir dieser Augenblick als erstes wieder ein und ich entschloss mich - durch die “Brille der Liebe” schauend, ihr noch einen Briefgruss zu senden. Am nächsten Nachmittag schon klingelte mein Telefon. “Na, nun raten Sie mal, wer hier dran ist?!” hörte ich eine erfreut erstaunte Stimme. Es war genau diese Schwester. Der Gruß hatte ihr so eine Freude bereitet, die ich so nicht erwartet hätte. Lange noch erzählten wir am Telefon. Als wir auflegten spürte ich die gleiche Freude in meinem Herzen, die die Schwester mit mir geteilt und mir bereitet hatte - und das an einem Tag, an dem vieles nicht so leicht gelaufen war.