Ich bin glücklich!
Eher “zufällig” ging ich an der Kirche vorbei, aus der ein junger Mann kam. Ich hatte ihn schon mehrmals gesehen, wie er zum Beten in die Kirche ging. Sein Aussehen ließ auf asiatische Herkunft schließen. Ich sprach ihn an. Er sprach ein wenig englisch. Er kam aus Sri Lanka und war erst seit einem Monat in unserer Stadt. Er war mit seinem Bruder geflohen und bat nun in unserem Land um Asyl. Mein ganzer Tag war mit einer großen Jugendaktion belegt. “Lad ihn ein!” schoss es mir durch den Kopf. So fragte ich ihn, ob er Zeit habe und mitkommen wolle. Er strahlte und kam mit. Er rief seinen Bruder an, der bald auch noch zu uns stieß. Immer wieder bemühte ich mich, den beiden vieles zu übersetzen, da sie vielfach am Rande des Geschehens standen. Beim abendlichen Gottesdienst strahlte eine tiefe Freude aus ihren Augen. Am nächsten Tag - Sonntag - waren die beiden erneut in der Messe. In der Predigt erzählte ich von der schönen Erfahrung, die wir am vergangenen Tag gemacht hatten - zum Teil auch in englischer Sprache. Wieder strahlten die beiden. Nach dem Gottesdienst lud ich sie ein, zu einem Sommerfest auf eine Fazenda da esperanca mitzukommen, da ich in meinem Wagen noch zwei Plätze frei hatte. Gern willigten die beiden ein. Während der Fahrt begannen sie, mir von ihrer schweren Geschichte zu erzählen. Vertrauen wuchs. Als ich in den Spiegel schaute, war ich verwundert. Wir waren aus 5 Nationen, Menschen unterschiedlichsten Alters aus Sri Lanka und Italien, aus Bosnien und Moskau und auch aus Deutschland. Ein lebendiges Miteinander unter allen gelang. Die gemeinsame Zeit auf dem Bauernhof der Hoffnung verstärkte diese Erfahrung noch. Als wir uns abends verabschiedeten, sagte mir einer der jungen Asiaten: “Seit zwei Monaten haben wir nicht mehr so lange mit jemandem sprechen können! Das war so schön, wie in einer Familie!”
Eine schwere Operation stand ihm bevor. Er hatte mir eine sms geschickt. Ich spürte die ganze Scheu und Not - verbunden mit der Hoffnung, wirklich für ihn zu beten. Diese Botschaft hatte meine Herz sehr angerührt. Er war noch so jung, hatte schon manche OP überstehen müssen und jetzt war wieder etwas Unvorhergesehenes aufgetreten. Die Angst in seinem Gesicht konnte ich so gut verstehen. Wir tranken Kaffee, scherzten und lachten und schauten all dem, was da in den nächsten Tagen kommen würde, mit Festigkeit entgegen. Ich schenkte ihm ein kleines Kreuz aus Jerusalem. “Weißt Du, gerade in den schweren Stunden, gerade dann wenn unser Herz voller Angst ist, dann brauchen wir etwas zum Festhalten! Und in diesem Festhalten müssen wir uns immer neu leise zusagen, was Jesus uns versprochen hat: Sei dir gewiss, ich bin bei dir bis zum Ende der Welt!” - “Ja, das werde ich machen”, hörte ich ihn sagen. Mit dem Krankenöl durfte ich ihm in aller Schlichtheit noch das Sakrament der Stärkung spenden. Am nächsten Tag - kurz vor der Abfahrt ins Krankenhaus - konnte ich nochmals kurz vorbeischauen. Die Not dieses Jugendlichen spürte ich Meter für Meter in diesen Tagen. Abends rief ich nochmals an. Innerste Verbundenheit, die tiefer reicht als räumliche Nähe.
Am Tag der OP beteten viele Menschen für diesen jungen Menschen. Immer wieder bat ich Gott, ihm nahe zu sein und seiner Seele Ruhe und Stärke zu finden. Später hörte ich, dass die Operation viele Stunden gedauert hatte. Ich rief auf seinem Handi an - in der Hoffnung, seine Eltern würden dran gehen. Aber ich hörte seine Stimme. “Ja, ich bin’s selber! Klar, Schmerzen habe ich noch sehr. Aber ich hab die OP hinter mir!” Dieses tiefe in seiner Stimme liegende Vertrauen traf mein Herz sehr. “Wissen Sie”, sagte mir kurze Zeit später seine Mutter, “das kleine Kreuz hat mein Sohn die ganze Zeit in den Händen gehalten. Wirklich... bis zum OP-Saal. Er hat es mir erst in meine Hände gelegt, als er durch die Schleuse gefahren wurde, durch die ich nicht mehr mit durfte!”
Einkauf war angesagt. Ich stand beim Bäcker an. Eine Frau stellte sich neben mich, die ich sonst nur flüchtig kenne. Normalerweise grüßen wir uns kurz, wenn wir einander begegnen. Dieses Mal aber schien sie ‘in Gedanken’. Ihr Gruß wirkte deshalb besonders karg.
Ich ließ es daraufhin nicht dabei und zog mich nicht zurück. Vielmehr fragte ich sie, wie es ihr ginge. “Ach, immer diese Schlepperei mit dem Einkauf!” stöhnte sie. Daraufhin fragte ich, ob sie mit dem Auto gekommen sei. Sie war allerdings mit dem Bus hergefahren. So bot ich ihr an, sie in meinem Auto nach Hause zu bringen. “Oh, wenn das ginge, das wäre toll!” war ihre freudvolle Reaktion. Im Auto kamen wir miteinander ins Gespräch. Vor ihrer Haustür angekommen sprachen wir noch eine weitere viertel Stunde miteinander. Ich erfuhr von einer Operation, die sie gerade hinter sich hatte. Aufgrund dieser OP hatte sie ihren Job verloren - sie war erst in der Probezeit gewesen... Ich verstand, wie schwer es für sie war, mit dem Bus zum Einkaufen zu fahren und die schweren Taschen tragen zu müssen. Sie lud mich ein, doch mal auf einen Kaffe vorbeizukommen, so dass wir ein wenig mehr erzählen könnten...
So ist aus meinem Nachhaken ein kleines Schalten auf "on" geworden. Ohne diesen kleinen Schritt wäre er auf "off" stehen geblieben.
In wenigen Tagen würde unsere Abteilung in einem Großbetrieb einer Fusionierung zum Opfer fallen. Auf dem langen Weg dieses Prozesses hätten wir als einfache Arbeiter uns einen gerechteren und ehrlicheren Umgang gewünscht. Viele von uns wissen noch nicht, wo sie in zwei Wochen arbeiten werden. Die ganze Situation war von Unsicherheit und Verärgerung geprägt. Nun stand das letzte gemeinsame Frühstück an. Wir saßen zusammen - in einer gewissen Anspannung, und dennoch scherzend und lachend. Ein Kollege, mit dem ich mich schwer getan hatte, kam wie immer zu spät. Ich versuchte zu lieben - auch ihn. Ich holte ein Glas Sekt für ihn. “Ich würd mich freuen, wenn wir im Frieden auseinander gehen und auch darauf anstoßen!” sagte ich in die Runde. Mein Kollege schaffte es nicht, mich anzuschauen. Mir tat das unendlich weh. Dann klirrten unsere Gläser aneinander. Ich konnte die Situation nur schwer aushalten. In meiner Seele blieb Wut, Trauer und Verletzung. Dann kam mir ein Wort in den Sinn, das ich in den vergangenen Tagen gehört und mir zu Herzen genommen hatte. “Jeder, wirklich jeder Mensch ist von Gott geschaffen und unendlich geliebt!” Wieder zu Hause versuchte ich mich mit Alltäglichem abzulenken. Das Wort, unendlich geliebt zu sein, arbeitete in mir. Ich ging vor ein Kreuz in meiner Wohnung und schaute den leidenden und gleichzeitig liebenden Blick Jesu an.
Dieser Blick eines Menschen, der verraten und ausgeliefert und dennoch weiter geliebt hat, zog mich unendlich an. Ich konnte Jesus meine Wut in die Hände legen und zu ihm sagen: “Du hast ganz andere Lügen ertragen und aushalten müssen. Und ich tu mich so schwer damit. Das tut mir leid. Aber nimm mein Unvermögen!” In diesen Augenblicken kamen mir Tränen, denn ich spürte in all meinem Unvermögen die Barmherzigkeit Gottes als unendlich viel größer. Ganz langsam kehrte Ruhe in meine Seele ein und ER gab mir neuen Raum.