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Ich bin glücklich!

Na auf einen Kaffee würde die Zeit noch reichen! Also lud ich Thorsten, John und Joy nach der Messe noch in eine kleine Bäckerei ein. Wir saßen an einem der kleinen Tische und bestellten Kaffee. Nach dreijährigem - oft bangem - Warten und vielfältigsten psychologischen Begleitungen aufgrund erlittener Folter im Heimatland, hatten die beiden tamilischen Brüder in der vergangenen Woche einen positiven Asyl-Bescheid bekommen. Den wollten wir mit dem Kaffee gebührend begehen. Sie begannen zu erzählen. Nach all dem erlittenen Leid und nach den - auch in Deutschland - durchgestandenen Ängsten, spürte ich echte Erleichterung und tiefe Freude bei den beiden, besser bei uns allen. Thorsten ging den Weg der beiden schon längere Zeit in beeindruckender Weise als Pate mit. “He is our best friend - all over the world!” sagten John und Joy. “ Er lebt, was Jesus uns gesagt hat. Immer, wenn wir nicht mehr weiter wußten, wenn wir vor Angst oft am Ende waren und nur noch geweint haben, ist er gekommen und war einfach mit uns! Er hat uns getröstet und Mut gemacht.” durfte ich hören. Und ich wußte um die unendlich vielen Telefonate, die Wege zu Behörden und zu Ärzten, und die viele Zeit, die er “einfach” mit den beiden geteilt hatte. Was für ein Zeichen der Hoffnung - mitten im Strom der vielen Flüchtlinge. In diesen Augenblicken durfte ich spüren, wie bedeutsam diese Flüchtlinge für uns waren und sind. Ich hatte den einen der beiden Brüder beim Beten in unserer Kirche kennen gelernt. Fast täglich kam und kommt er, um zu beten. Allein durch das Da-Sein der beiden, war “ihr Pate” und viele andere herausgefordert worden, sich einzusetzen und zu helfen - biblisch gesprochen: zu lieben. Beide Seiten waren dadurch zueinander aufgebrochen und im Miteinander neu geworden. Ich durfte in diesen Augenblicken - am Kaffee-Tisch sitzend - erleben, wie hier eine kleine Zelle der Kirche, “eine Insel göttlicher Anwesenheit” lebte und ich sagte den beiden: “Durch Euch verstehe ich tiefer, dass Gott Euch zu  uns ins ‘alten Europa’ geschickt hat, damit durch Euch unsere Kirche aus ihren alten Lebensgewohnheiten und Engherzigkeiten herausgerufen wird und sich erneuert! Wir brauchen einander!” Ich schaute in Augen, die sich mit Tränen füllten  und spürte in meinem eigenen Herzen, wie sehr ich angerührt war. “Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn - durch die Schrift - erschloß?” kam mir in den Sinn. Entdeckung mitten in der Bäckerei. Nach zwei Stunden waren unsere Tassen leer und unsere Herzen mehr als erfüllt.

Drei Gäste aus einem osteuropäischen Land hatte ich zu Gast. Ich holte sie am Flughafen ab. Schon nach wenigen Minuten waren wir beim Thema “Flüchtlinge”. Meine drei Gesprächspartner hatten sich in meinem Wagen in eine Reihe gesetzt. Sofort begannen sie - hinter mir sitzend - zu begründen, warum ihr Land keine Flüchtlinge aufnehmen könne und dass ja auch niemand in ihr Land wolle, da sie ja doch alle nach Deutschland wollten. In mir kochte es. Die Mottos der vergangenen Monate kamen mir in den Sinn: “Sei aufmerksam für den Frieden!” und: “Sei fair!” Ich hörte den Dreien aufmerksam zu und versuchte mit viel Verständnis für ihre Situation zu reagieren.
Nachmittags ergab sich ein freies Zeitfenster. Ich fragte die drei Jugendlichen, ob sie mit mir einige Flüchtlinge besuchen wollten. Sie willigten ein. Wir kamen in eine Flüchtlingsunterkunft und besuchten einen jungen Mann aus Ghana und einen Familienvater aus Palästina, der lange Zeit in einem Camp in Damaskus gewesen war. Die beiden empfingen uns mit einer außergewöhnlichen Herzlichkeit. Dennoch waren die drei Osteuropäer sehr, sehr scheu und reagierten fast verängstigt. Leckeres Essen wurde aufgetischt. Ich begann zu scherzen. Wir aßen  gemeinsam. Mehr und mehr wuchs Vertrauen. Dann lud ich den Afrikaner ein, von seiner Geschichte zu erzählen. Seine Mutter war gestorben, als er 4 Jahre alt war, sein Vater war vor kurzer Zeit von einem anderen Stamm getötet worden. So mußte er fliehen, zunächst an die Elfenbeinküste, dann nach Lybien. Auch dort konnte er nicht bleiben, jetzt war er über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er erzählte, wie sehr er diesen Weg mit Jesus gemacht und sich von ihm getragen gefühlt hatte. Dann begann Yunis, der Palästinenser. Er hatte seine Frau und seine drei Kinder zurück gelassen und litt unsäglich darunter. Mit Tränen in den Augen erzählte er. In all diesem Leid war unter den beiden Flüchtlingen über alle Grenzen hinweg eine tiefe Freundschaft gewachsen. Daran ließen sie uns teilhaben.
Abends fragte ich die drei jungen Leute, wie der Tag für sie gewesen sei. Einer antwortete: “Es war die stärkste Katechese meines Lebens! In meinem Land werden durch die Medien nur schlimme Dinge über die Flüchtlinge verbreitet. Heute habe ich zwei Menschen erlebt, mit ihrer Geschichte. Ich kenne ihre Namen. Ich werde von jetzt an anders über die Flüchtlinge denken und von ihnen erzählen.”

Seit einigen Monaten arbeite ich als “Au pair” in einer Familie mit drei kleinen Kindern. Zu meinen Aufgaben gehört es, mich jeden morgen mit den drei Kindern - das Kleinste ist noch im Kinderwagen - auf den Weg zum Kindergarten zu machen. Dabei muss ich immer mit der Straßenbahn fahren. Vor einigen Tagen kam ich gerade auf den Bahnsteig, schob den Wagen und hatte die zwei anderen an der Hand, als die Tram mir vor der Nase wegfuhr. Die Zugführerin hatte mich, kommen sehen, war aber dennoch losgefahren. Über so viel fehlendes Mitgefühl war ich total enttäuscht. In mir kochte es. Ich drohte zu explodieren, mußte mich aber gleichzeitig um die drei Kleinen kümmern.

In dieser Situation kam eine alte Frau auf mich zu. Sie war stark sehbehindert und fragte, ob ich ihr helfen könne. Im ersten Augenblick wollte ich sie abweisen. Aber aus irgendeinem Grund hab ich mich entschieden, ihr dennoch zu helfen. Sie gab mir Geld, so dass ich ihr ein Ticket kaufen konnte. Als ich es ihr aushändigte, schaute sie mich an und sagte: “Sie haben ein so freundliches Wesen. Danke, dass sie mir sofort geholfen haben, obwohl sie die drei Kinder bei sich hatten.” Und dann reichte sie mir einen 5-€-Schein und bat mich, ihn zu nehmen. Ich war total perplex und verwundert. Auf einmal war mein Groll verfolgen. Diese Begegnung begleitete mich den ganzen Tag und mein Herz war wieder froh.

Zu einer 24-Stunden-Wache hatte Papst Franziskus aufgerufen. So hatten wir die ganze Nacht durchgewacht - immer mit Jesus in der Eucharistie in unserer Mitte. Gegen morgen hatten eine ganze Stunde lang Flüchtlinge aus Sri Lanka, Georgien und Afghanistan ihre Flucht-Geschichten erzählt. Es waren bewegende Augenblicke gewesen. Das Wort von Papst Franziskus begleitete uns: “Geht an die Ränder, dort werdet ihr IHN finden!” Vor Jesus in der Eucharistie sitzend bewegte mich plötzlich die Frage: “Jesus, wo wartest Du jetzt gerade auf mich? Hier in der Stunde der Anbetung oder draußen an den Rändern?” Zwei Familien - mit schweren Fluchtgeschichten kamen mir ins Herz. Ich hatte den Eindruck: ER ruft mich dorthin. So verließ ich das Anbetungs-Zelt und fuhr zu ihnen. Beide waren zu Hause. Beide waren durch den Krieg unvollständig. Menschen waren gestorben und in Kriegsgebieten zurück gelassen. Beiden konnte ich lange zuhören. Am Ende des ersten Gespräches sagte ein Mädchen aus der ersten Familie: “Kannst Du nicht bei uns bleiben? Ich war zum ersten Mal seit langem wieder froh!” Am Ende des zweiten Gespräches sagte mir ein junger Syrer: “Danke für Dein Kommen. Immer wenn wir zusammen sind, spüre ich einen so tiefen Frieden in mir!” Den Frieden, den ich in den Stunden der Anbetung hatte spüren dürfen, hatte ich in diese beiden Familien weiter bringen können.