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Ich bin glücklich!

Ich besuche seit einiger Zeit eine Frau in einem Altenzentrum, die sich kaum noch bewegen kann und deren Kommunikationsmöglichkeit sehr eingeschränkt, fast sogar unmöglich ist. Diese Frau ist nahezu bewegungsunfähig. Sie kann ihre Arme nicht allein unter der Bettdecke hervorholen. Sie liegt in ihrem Bett und kann nichts mehr tun. Ich bemühe mich bei jedem Besuch, sie in den kleinen Dingen, die ich tun kann, zu lieben: wenn ich sehe, dass sie schwitzt, hole ich einen feuchten Waschlappen und wasche und kühle sie ein wenig an Stirn und Armen, wenn ihr Speichel aus dem Mund läuft und das Handtuch, wenn ich komme, schon durchnäßt  ist, wasche ich ihr den Speichel ab und wechsele das Handtuch.
Ich habe gelernt auf kleine Dinge zu achten und  zu tun, was dieser Frau gut tut - eben ganz persönlich. In der Adventszeit habe ich neu überlegt, wie ich ihr eine Freude machen kann. Mir kam die Idee, ihr etwas vorzulesen. Zuerst dachte ich, es müßte etwas Adventliches sein, aber, als ich versuchte, mich in ihre Haut hineinzuversetzen, hatte ich Zweifel, ob das passt, da sie das erste Jahr nicht mehr zu Hause ist und “Adventliches” möglicherweise Erinnerungen in ihr auslöst, die schmerzlich sind. Also hab ich weiter gesucht und ein sehr heiteres Buch hervorgekramt, das vom etwas überspitzten Lebensalltag einer "Großfamilie" mit 10 Kindern erzählt. Aus diesem Buch hab ich ihr bei meinem nächsten Besuch vorgelesen. Bevor ich jedoch zu lesen begann, sagte ich ihr, warum ich gerade dieses Buch und eben nichts Adventliches mitgebracht habe. Sie ließ mich strahlend verstehen, dass das genau die richtige Entscheidung gewesen war. Dann hab ich eine Stunde vorgelesen und musste das Lesen immer wieder unterbrechen, da wir beide sehr lachen mussten. Es war eine so frohe Stunde...und ihre leuchtenden Augen und ihr Lachen haben mich fast zum Weinen gebracht... Es war eben - ganz persönlich! Und bei meinem nächsten Besuch kommt das nächste Kapitel dran...

Wir hatten eine schwere Operation zu stemmen. Nach getaner Arbeit kam meine Mitarbeiterin um mir zu sagen, wie gut ihr das Miteinander in unserem Arbeitsfeld tut. Wir kommen menschlich gut miteinander aus und haben schon mehrere beruflich sehr herausfordernde Situationen miteinander gemeistert! Da diese Frau ihren Zug verpasst hatte, hab ich sie spät abends noch nach Hause gefahren. So blieb uns Zeit zu sprechen. Diese Zeit zum Gespräch ist wichtig, um schwere Situationen auch fachlich nochmals “durchzuarbeiten”. Nachdem wir das getan hatten,  sagte sie zu mir: “Mit Ihnen ist das Arbeiten so ganz anders. Sie kennen die Patienten so gut und Sie sind so ganz persönlich!” Da wurde ich hellhörig. Ich fragte, wie sie das meine? “Nun ja, es ist so eine besonderer Atmosphäre so freundschaftlich, fast familiär! Meine Rolle als Mitarbeiterin ist mit Ihnen immer ganz anders, sie gefällt mir sehr. Ich habe den Eindruck, ich gehöre immer mit dazu!” - Wie gut tat mir diese Rückmeldung nach einem anstrengenden Arbeitstag - eben: “ganz persönlich!”

Vor ein paar Tagen erreichte mich ein Anruf.  Nach kürzester Zeit war klar, es geht wieder um die Probleme, die wir schon oft besprochen haben. Zunächst war ich genervt! “Nicht schon wieder!” kam mir in den Sinn. “Und mein Gegenüber hat nach all den Gesprächen noch keine Schritte gemacht, um etwas zu ändern!” dachte ich weiter... Aber der Wunsch zu lieben wurde immer stärker in mir. So hab ich tief Luft geholt und versucht, ganz da zu sein. Ich hab versucht, wirklich zuzuhören, ohne Bemerkungen und kluge Ratschläge dazwischen fließen zu lassen. Es wurde ein langes, relativ schweres Gespräch. Schritte von der Seite meines Gegenübers waren dringend angesagt, aber er mußte sie selber entdecken und tun.
So hab ich mich weiter sehr zurück gehalten. Die wenigen Worte, die ich beisteuerte, versuchte ich mit ruhiger und klarer Stimme zu sagen.  - Gegen Ende des Gespräches wurde mein Gegenüber ruhiger. Als wir geendet hatten, hab ich für den Anrufer gebetet, zumal mich das, was er erzählt hatte, sehr betroffen gemacht hat! - Wieder einmal neu!
Eine viertel Stunde später kam eine SMS. Mein Gesprächspartner hatte sich wirklich fachliche Hilfe geholt und schon eine feste Zusage für baldige Hilfe bekommen. Damit scheint Bewegung in eine schwierige Situation zu kommen. Gut, dass ich dran geblieben war - ganz persönlich!

Ich kam an einem Handarbeitsgeschäft vorbei, in dem ich häufiger einkaufe. Die Besitzer dieses Ladens wissen um unser Engagement für Asylbewerber und Flüchtlinge in unserer Stadt und legen mir immer wieder Wollreste zurück.. Ich ging kurz rein, nur um “Hallo” zu  sagen. Sofort begrüßte mich die Inhaberin ganz freudig :”Ich habe so oft an Sie gedacht. Auch Wollreste habe ich für Sie. Und da vorne steht eine Frau, die ganz viele Reste abgeben möchte, wollen Sie sie kennen lernen?” - “Aber gerne!” Ich wartete, bis die Dame, die die Woll- und Stoffreste hatte, ihr Gespräch beendet hatte und bin dann zu ihr gegangen. Ich habe mich vorgestellt und erzählt, was wir machen und auf welchem Hintergrund wir arbeiten. “Ja, ich kenne Sie aus der Zeitung, habe schon davon gehört. Ich habe auch reichlich Wolle, kann das aber nicht hier her bringen. Würden Sie die Sachen auch abholen?” - “Selbstverständlich, gerne! Sagen Sie, wann es Ihnen passt und ich komme gerne.” Wir haben uns sofort für heute Nachmittag verabredet....
Dann sprach mich eine Frau an, die ich zunächst gar nicht wahrgenommen hatte. “Entschuldigung, wenn ich Sie so einfach anspreche, aber ich habe Ihrem Gespräch gelauscht und... ja was soll ich sagen, ich bin begeistert. Darf ich mich bei Ihnen melden? Ich möchte auch etwas geben?” “Liebend gerne!”