Ich bin glücklich!
Über Jahre waren wir in einem Kreis als Priester gemeinsam unterwegs gewesen. Dann hatte ich ihn längere Zeit nicht gesehen. Er war einem anderen Pfad gefolgt. Vor wenigen Tagen hatten wir offen eingeladen, den Projekthorizont navi4life für junge Menschen kennenzulernen. Auf einmal sah ich sein Gesicht wieder – voller Freude. Wir begannen mit einem persönlichen Austausch unter den Brüdern, die gekommen waren. Er erzählte. „Ich wollte mal was Neues ausprobieren, einem anderen spirituellen Weg folgen. Doch auf diesem Weg gelang es nie, in einen echten ehrlichen Austausch zu kommen. Den hab ich von Monat zu Monat mehr vermisst, weil mein Herz gespürt hat: Wenn wir so offen und ehrlich voneinander erzählen, dann ist Jesus immer da. Jetzt, da ich bei euch bin, spüre ich das so tief und mein Herz ist wieder in der Freude. Ich bin wieder da!“
Was soll ich nur wieder predigen, fragte ich mich am Samstagmorgen. Die „ungerechte Geschichte“ der Arbeiter im Weinberg, die trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten alle einen Denar bekommen, war mir aufgegeben. Mit diesen Gedanken im Herzen ging ich durch unsere Stadt, in der ein Flohmarkt veranstaltet wurde. Ich schlenderte zwischen den Ständen hindurch, an denen viele Kinder ihre Waren anboten. Hinter einem Tisch sah ich einen kleinen Jungen stehen, der ein wenig traurig ausschaute. "Na, läuft das Geschäft?" fragte ich ihn. Dann erklärte er mir, wenn ich mein Fahrrad und meinen Rucksack verkauft bekomme, dann war der Tag gut. Aber bisher habe ich noch fast nichts verkauft. Dann schaute er ganz traurig in die Weltgeschichte. Ich sagte ihm: "Und ich muss heute dringend was bei Dir kaufen!" Dann zeigte er mir all seine Spielzeuge, die er nicht mehr brauchte. Ich entschied mich für ein älteres Holzspielzeug und kaufte es ihm ab. Er war total glücklich. Als ich ging, winkte er mir heftig hinterher. Wieder zu Hause, war das Thema meiner Predigt klar: Gott fragt nicht: Was hat der einzelne verdient? Sondern: Was braucht der einzelne?
Es liegt 35 Jahre zurück. Als junger Priester hatte ich für ein Ferienlager mit Jugendlichen von einer befreundeten Familie einen VW-Bulli zur Verfügung gestellt bekommen. Da ich noch nicht so geübt war im Fahren eines größeren Fahrzeuges, hatte ich den Wagen in einer engen Bergkehre auf einen Stein aufgesetzt. Es war nichts Gravierendes passiert und doch saß mir der Schock in den Knochen. Nach der Rückkehr aus dem Ferienlager brachte ich der Familie das Fahrzeug zurück. Ich „beichtete“ dem Vater, was geschehen war. Er schaute sich den Schaden unter dem Fahrzeug an, stand wieder auf, lächelte mich mit einer Güte an, die mir bis heute im Herzen geblieben ist und sagte: „Lass mal gut sein. Alles in Ordnung!“ Ich weiß noch, wie ich tief berührt wieder nach Hause fuhr. Diese Güte und Großherzigkeit hatte mein Herz tief erreicht. In den vergangenen Tagen haben wir diesen Freund beerdigt. Ich spüre: Die Liebe bleibt!
Do, 28.09.2023 - 18.30 bis 20.00 Uhr
Pfarrzentrum Heilige Familie,
Dunkle Straße 4, 59174 Kamen
„Ich musste meinem Herzen trauen, auch wenn meine Eltern meinen Plänen nur schwer zustimmen konnten!“ erzählt Berislav aus Bosnien und Herzegowina. Nachdem er als Flüchtling sein Dorf, das in den neunziger Jahren vom serbischen Militär angegriffen wurde, verlassen musste, verließ er schon früh seine Familie, ging auf ein kroatisches Gymnasium, studierte dann in Münster Theologie und ist heute ein Marketing-Experte, der das go4peace-Netzwerk berät und unterstützt. Über 70 Teilnehmer*innen hatten sich am Donnerstag, dem 28.09. abends im Gemeindezentrum Heilige Familie auf Einladung des Netzwerkes go4peace eingefunden und erfuhren in sechs spannenden Interviews von bunten Hoffnungsgeschichten aus aller Welt. Aata aus dem Irak erzählte, wie sie ihren Mann nur kennen lernen konnte, weil er seine Heimat Bagdad verlassen musste, wo er gegen ein hohes Lösegeld vom IS freigekauft worden war. Mittlerweile lebt sie mit ihm und ihren beiden Kindern in Kamen und arbeitet in einer Kindertagesstätte. Mit ihren sieben Sprachen, die sie beherrscht – Arabisch, Kurdisch, Assyrisch, Aramäisch, Englisch und Deutsch – baut sie manche Brücke zwischen den vielen Kindern. Nach einem Bundesfreiwilligendienst-Einsatz hatte sich Artemida aus Albanien entschieden, in Kamen zu bleiben, wo sie mittlerweile an der Gesamtschule Kamen arbeitet. In wenigen Tagen tritt sie eine neue Stelle an und als Meinolf Wacker sie am Ende ihres Interviews fragt: „Bist Du angekommen!“ strahlt sie und sagt: Natürlich schlägt mein Herz weiter für meine Heimat, aber ich bin wirklich angekommen. Gleiches sagen Stas und Sasha aus der Ukraine mit ihrem kleinen Sohn und sind froh, dass sie mittlerweile eine Ausbildungsstelle und eine Arbeit gefunden haben. Bereichert wurde der Abend durch musikalische Liedbeiträge von Lilou Zora Tamina Herlitschke, begleitet von Lukas Bajon am Klavier.
Ein junges Ehepaar aus Afghanistan und dem Iran sind sich mehr als glücklich, in Deutschland leben zu dürfen. Beide haben eine Ausbildung geschafft und sind in ein großes Netzwerk von Freund*innen eingewoben. „Deutschland ist unsere Heimat!“ lassen sie uns wissen. Auch Filmon, ein junger Diakon der eritreisch orthodoxen Kirche, der sein Land ohne das Wissen seiner Eltern verlassen hat, fühlt sich in unserem Land beheimatet. „Wäre heraus gekommen, dass ich mein Land verlassen wollte, wäre ich ins Gefängnis gekommen. So konnte ich denen, die ich liebe, nicht sagen, dass ich bei Nacht und Nebel gehen würde.“ Nach einer langen abenteuerlichen Flucht mit schweren Erfahrungen in einem Flüchtlingslager in Libyen und dem Weg über das Mittelmeer, bei dem Menschen in seinem Boot gestorben sind, kam er nach Deutschland. In fließendem Deutsch lässt der die Zuhörer*innen verstehen: „Ich bin so froh, dass ich jetzt hier eingebürgert bin und Soziale Arbeit studieren darf. Denn ich weiß, was es bedeutet, bei Null in einem neuen Land zu beginnen. So möchte ich in Zukunft anderen helfen, die in dieser Notsituation hier ankommen!“
Auf die Frage: „Und was nehmen Sie mit?“ antwortete eine Teilnehmerin aus dem Publikum: „Ich habe noch nie so tief gespürt, dass wir zu einer Menschheitsfamilie gehören und alle in einem Boot sitzen. Ich gehe sehr bereichert wieder nach Hause!“ Eine jüngere Teilnehmerin fügte hinzu: „Mich hat es sehr berührt, von der jungen Christin aus dem Irak zu hören: Für mich ist nicht wichtig, welcher Religion eine Person angehört, sondern ob sie ein gutes Herz hat.“ Veranstaltet wurde dieser Abend als ein Beitrag zur interkulturellen Woche 2023.



In Kamen leben Menschen aus ca. 100 Nationen. Viele haben ihre Heimat verlassen und sind aufgebrochen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. An diesem Abend erzählen u.a. eine junge Lehrerin aus Albanien, was sie bewegt hat, ihr Land zu verlassen; ein junges Paar aus dem Iran und Afghanistan, wie sie nach einer dramatischen Flucht voller Angst in Deutschland angekommen sind und sich heute in einem Netzwerk von Freund*innen aufgehoben fühlen; ein junger Eritreer, wie er dem Tod ins Auge geschaut und an sich geglaubt hat, seine Pläne immer wieder ändern musste und jetzt Soziale Arbeit studiert; ein Mediengestalter aus Bosnien und Herzegowina, wie er in schweren Zeiten dem Ruf seines Herzens gefolgt ist und alles gelassen hat; eine Mutter aus dem Irak, wie sie mit ihrem Mann dem Tod entronnen und menschlich und beruflich bei uns angekommen ist.
Sie alle lassen ihr Leben mit all ihren Leiden, Hoffnungen und Freuden sprechen.
Musikalische Gestaltung:
Lilou Zora Tamina Herlitschke - Gesang
Lukas Bajon - Klavier
