Ich bin glücklich!
Die Liebe hat Zeit!
Mein Handy klingelt. Unbekannte Nummer. Ich geh dran und höre eine Frauenstimme. „Ich wollte Dir danke sagen für den Gottesdienst, den Du vor sechs Jahren für unseren Vater gefeiert hast. Es hat so viel in mir ausgelöst!“ Nach einigen Augenblicken erinnere ich mich. „Ich hatte es damals nicht leicht. Viel war zerbrochen und ich traute mich kaum in die Kirche. Und dann bist Du vor dem Gottesdienst zu mir gekommen und wir haben ein paar Minuten gesprochen. Das hat mich so ermutigt und mir die Kraft gegeben, durchzuhalten.“ Ganz langsam kommen mir die Erinnerungen an die Augenblicke wieder ins Herz. Es entwickelt sich ein langes Gespräch. Am Ende darf ich hören: „Ich bin wieder da. Ich hab mich wieder für Gott geöffnet. Und ich spüre, wie ER mich liebt!“ Als wir uns verabschieden, füllen sich meine Augen mit Tränen. Gott hat die vor Jahren verschenkte Liebe im Herzen dieses Menschen arbeiten und wirken lassen. Er – als Vater des Lebens – weiß um oft lange Wegstrecken des Reifens. Die Liebe hat Zeit!
Mein Vater ist seit längerer Zeit an einem Hirntumor erkrankt. Sein Gesundheitszustand ist schwieriger geworden. Über Weihnachten waren alle zu Hause. Da meine älteren Geschwister jetzt wieder an ihre Orte fahren, denke ich über das diesjährige Weihnachts- und Neujahrsfest nach. Wir haben die meiste Zeit alle zusammen verbracht - 10 Personen der engsten Familie. Am Ende haben alle beschlossen, auch für Neujahr zu bleiben, weil wir das Bedürfnis hatten, diese Zeit gemeinsam zu verbringen. Es war eine Zeit, in der sich der Zustand unseres Vaters plötzlich sehr verschlechtert hat.
Alle Therapien schaffen es nicht, das Fortschreiten des Tumors zu stoppen. Es ist sehr schwer, das zu akzeptieren. Aber in unserem Schmerz finden wir eine neue Ebene der Liebe, der Nähe und der Hoffnung. Wir hatten viele berührende Momente besonderer Nähe. Nach vielen Jahren begannen wir wieder, abends gemeinsam zu beten. Wir haben Gott war in diesen Momenten sehr nah gespürt.
Wir haben beschlossen, gemeinsam mit unseren Freunden die pompejanische Novene für unseren Vater und die Situation zu beten. Es ist ein großes Netz der Verbundenheit über viele Grenzen hinweg gewachsen. Wir vertrauen auf Gott.
Wir hatten die Wohnung einer verstorbenen älteren Dame auszuräumen. Eine junge Lehrerin, die neu in unserer Stadt war, freute sich über viele noch gut erhaltene Möbel. Ein großer sehr gut erhaltener Kleiderschrank passte allerdings nicht in die neue Wohnung. Ich sah, wie ein anderes Team-Mitglied Freude an diesem Schrank fand. Zugleich wusste ich, dass es viele Stunden Arbeit des Abbauens, Transportierens uns Wiederaufbauens nach sich ziehen würde. Am Tag zuvor hatte ich noch einen kleinen Text über die Goldene Regel geschrieben. Er endete mit dem Motto: Miteinander – wie sonst! Das kam mir in den Sinn. Sofort spürte ich eine Entschiedenheit in mir, dem Schrank Flügel zu verleihen. Mithilfe einiger Jugendlicher machten wir uns ans Werk. Wir schafften es sogar noch, den Schrank in die Nachbarstadt zur Wohnung des Mannes zu bringen. Als wir den Schrank nach 10 Tagen aufbauten, schaute ich in die strahlenden Augen des Beschenkten. „Ich hab mich so sehr gefreut, dass das möglich geworden ist. Danke für unser lebendiges Miteinander!“ Und dann lud er zu einem tollen italienischen Mittagessen ein.
Während eine Friseuse mir die Haare schnitt, kamen wir in ein lebendiges Gespräch über die heutige Zeitsituation. „Wissen Sie“, ließ sie mich wissen, „ich schau mir gar keine Nachrichten mehr an, denn dort hör ich nur Negatives und das bringt mich dann total aus dem Gleichgewicht. Skandale in der Kirche, Klimaproblem, Ukraine-Krise, schwache Regierung, Corona… - Ich kann’s nicht mehr hören!“ – „Schade, dass so viele positive Sachen wenig Chance haben, in die Nachrichten zu kommen!“ reagierte ich. „Oh, dann erzählen Sie mir doch mal was Positives!“ bat sie mich. Ohne zu zögern erzählte ich ihr vom vergangenen Samstag, an dem wir mit 5 jungen Leuten kleine Videos gedreht haben, die über QR-Codes in einem Logbuch fürs Leben zu erreichen sein werden. Ich erzählte ihr, wie lebendig, wachsam und voller Esprit ich die Jugendlichen erlebt hatte. Jeder ging voller Freude nach dem Dreh seines Weges. Als ich bezahlte, sagte mir die junge Frau: „Ich hätte Ihnen gern noch viel länger die Haare geschnitten!“